Bürgerzorn auf Roma und Sinti

■ Runder Tisch soll Spannungen abbauen helfen / Diskussionsveranstaltung in einer Kirche

Proppenvoll ist es im Gemeindesaal der Heilig-Geist-Kirche im hannoverschen Stadtteil Vahrenwald. Gut 200 Bürgerinnen hat am Donnerstagabend ein Thema auf die Beine gebracht, das seit Wochen die Gemüter vieler Hannoveraner bewegt: Die Roma, die von der Stadt in provisorischen Zeltlagern untergebracht werden und denen AnwohnerInnen Diestahl, „aggressives Betteln“ und andere, grobe Schamlsoigkeiten vorwerfen. Inzwischen wurden Interessengemeinschaften gegründet, Unterschriften gesammelt und bei Stadt und Land Petitionen gegen die „unzumutbaren Zustände“ eingereicht.

Nur ein kurzes Stück entfernt von der Heilig-Geist-Kirche steht ein Zeltlager für Asylsuchende. Bis zu 950 Menschen sind dort auf engstem Raum zusammengepfercht, manchmal wochenlang, bevor sie mit Busssen abgeholt und zur „Zentralen Anlaufstelle“ des Landes Niedersachsen in Braunschweig gebracht werden. Die sanitären Anlagen sind völlig unzureichend, und nur eine ehremamtliche Dolmetscherin vermittelt zwischen Flüchtlingen und dem Betreuungspersonal vom Deutschen Roten Kreuz.

Im Gemeindesaal beschreibt eine deutsche Bäckerin ihren gestörten Geschäftsalltag: „Scharenweise sind die Asylbewerber gekommen, haben gebettelt und geklaut, Kunden betatscht, ihren blanken Hintern gezeigt und einmal mitten in meinen Laden einen Haufen gemacht.“ Ein Bericht, der für die meisten Zuhörer nur bestätigt, was sie immer schon wußten: Roma sind dreckig, kulturlos oder zumindest so unverschämt, sich den deutschen Gepflogenheiten auf gar keinen Fall anpassen zu wollen.

Da hilft es weinig, als Siegfried Franz vom Niedersächsischen Landesverband Deutscher Sinti betont, nicht einmal er könne Sinti oder Roma am Äußeren erkennen. Oder als die Dolmetscherin Petra Sein, die selbst zum Volk der Roma gehört, darauf hinweist, daß in dem Lager in Vahrenwald Menschen aus 45 Nationen untergebracht seien.

Das zählt nicht. „Sinti oder Roma, für mich ist das alles die gleiche Güte“, schimpft ein junger Mann. „Wann wird entlich etwas geschehen, bevor hier was passiert“, fragt ein anderer, und als er dabei Rostock erwähnt, klingt das wie eine Drohung.

Die Stimmung gärt. Tagelang hat eine hannoversche Lokalzeitung mit Pauschalisierungen und suggestiven Fotos ihren Teil dazu beigetragen, meint der Journalisitk-Dozent Gunter Reus. Schließlich gab es eine Flut von erbosten Leserbriefen gegen die „Roma-Bettler“, und selbst Lanpolitiker beteiligen sich an der aufgeheizten Dislussion. So forderte der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Hans Eveslage, Polizeiaktionen gegen Bettelkinder, deren Eltern zudem das Sorgerecht entzogen werden sollte. Die rot- grüne Landesregierung ließ daraufhin verlauten, mit Gesetzen und staatlichen Repressionen sei der Bettelei nicht beizukommen. Sie setze auf Überzeugungsarbeit: Ein „Runder Tisch“ mit Vertretern der Stadt Hannover, des Landes und der Sinti und Roma hat inzwischen zweimal getagt.

Einen Runden Tisch schlägt schließlich auch in Vahrenwald die sozialdemokratische Bezirksbürgermeisterin vor, der sich sofort einige für die Flüchtlinge ehrlich engagierte Diskussionsteilnehmerinnen anschließen. Auch die Bäckerin will mitmachen, obwohl sie die eigentliche Problemursache auf nationaler Ebene sieht: „Wir müssen doch unsere DDR aufbauen und können eben nicht allen helfen, wenn unser schönes Deutschland auf dem Zahnfleisch geht.“ Uwe Harms