■ ARTUR, BERLINOID
: Sei frei und leb' du wohl, Artur!

Abschiede sind immer grausam, wenn es Herbst wird, allemal. Heute verläßt uns Artur. Nach einem Jahr samstäglicher Begleitung lebt er nun — zwar immer noch wild und gefährlich — so doch fortan wohl besser ohne uns. Wie alle liebgewonnenen Freunde, die es in die Welt drängt, haben wir wärmstes Verständnis für die Eroberung neuer Ufer, wünschen ein schönes, aufregendes Leben und Glück. Ach Artur, wir werden sicher immer an Dich denken und freuen uns gelegentlich auf eine Postkarte.

Unterwegs auf dem sehr nachdenklichen Weg durch deutsche Lande zurück nach Berlin, erzählte Artur, er habe unvermutet die Bekanntschaft eines Hochschuldozenten und dessen Gattin gemacht. Bereits nach der ersten gemeinsamen Tasse Kaffee hatte dieser Mensch, stumm aber freundlich von seiner Ehefrau unterstützt, über jedes nur denkbare Problem einen Grundsatzvortrag zu halten begonnen: Über die Vorzüge von Putenfleisch gegenüber dem vom Schwein, über die politischen Parteien, über die Arroganz, Messerbänkchen bei Tisch zu benutzen, über die Blüte der Malerei im 18. Jahrhundert (nicht zu erwähnen die anderen Perlen der Kunst und Literatur), die richtige Temperatur von Eiskaffee, die Bedeutung der Demut bei Beamten, die Schuldienlichkeit der Vollwerternährung, die Zuträglichkeit gemeinsamen Joggens (eingeschlossen des Vergleichs zwischen Bergsteigen und Radfahren), das Unmoralische des Mittagsschlafes sowie über die therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten von Melkfett.

Er war erst ziemlich beeindruckt, behauptet Artur, habe aber später erkannt, mit welch herzhafter Gefährlichkeit das wilde Leben versimpelt werden kann.

Nach seinem Bericht zog er ein Kuvert aus der Brusttasche. »Erst in Berlin zu öffnen«, war in säuberlicher Handschrift darauf vermerkt.

Zora las den Brief vor: »Es bleibt mir kein anderer Weg, das geneigte Publikum auf diese mir eigene und bescheidene Art und Weise davon in Kenntnis zu setzen, daß manche Artur-Geschichten aus der taz und darüber hinaus entschieden weitere, ergänzt durch eine Vielzahl erschütternder Fotos, zur Buchmesse Ende September erscheinen werden, in Berlin, beim TRANSIT-Buchverlag, unter dem vielsagenden Titel: ‘Mit Artur durchs Jahr‚. Möge es nutzen, gez. Rebecca Goldblum. P.S.: Wer weiter will, muß weiter lesen.« Zora schnalzte abschätzig. »Ts, ts«, machte sie und fixierte Artur mit schräggelegtem Kopf.

Artur zog seine Mütze fester und grummelte zurück: »Man sollte nicht bereuen, was man getan hat, sondern das, was man sich nie traute. Frau dto., jawohl.« Er holte tief Luft und fügte hinzu: »Zu allem bereit, aber zu nix zu gebrauchen.« Clemens Walter