Bildung wird immer teurer

■ Das Sparprogramm des Senats trifft auch die Volkshochschulen/ Trotzdem melden die meisten volle Kurse/ Ausländer werden für Deutschkurse kräftig zur Kasse gebeten

Daß am Tag der Anmeldung ihre MitarbeiterInnen ins Schwitzen kommen, ist für Ruth Ellerbrock nichts Ungewöhnliches. Doch am vergangenen Sonntag rieb sich die Leiterin der Volkshochschule (VHS) Charlottenburg verwundert die Augen. Als die Türen des Gebäudes in der Heerstraße um sieben Uhr früh geöffnet wurden, hatte sich schon eine lange Schlange gebildet. Unter den Interessenten waren hauptsächlich Ausländer, die sich in die Listen der Deutschkurse eintragen wollten. Einige von ihnen warteten schon seit drei Uhr morgens. Viele, die später kamen, mußten jedoch enttäuscht wieder den Weg nach Hause antreten: Gegen halb neun waren die rund 400 Plätze für die Deutschkurse schon vergeben.

Hauptleidende waren vor allem Ausländer aus der ehemaligen Sowjetunion, Polen, Afrika — aus all jenen Staaten, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören. Denn die Volkshochschulen Berlins bilden zuallererst die Mitglieder aus EG- und den sogenannten Anwerberländern aus — etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien oder der Türkei. Dafür erhalten sie einen bescheidenen Zuschuß vom Arbeitsministerium aus Bonn — die VHS Charlottenburg rund 250.000 Mark im Jahr. Frau Ellerbrock hält die Aufteilung in zwei Kategorien von Ausländern für »eine mißliche Lage«. Häufig würden ihre Mitarbeiterinnen dafür beschimpft — »zu Recht«, wie sie sagt, »auch wenn wir dafür eigentlich nichts können«.

Um Abhilfe zu schaffen, hat die VHS Kreuzberg für Angehörige von Nicht-EG-Staaten neun weitere Deutschkurse eingerichtet. Allerdings fällt das Angebot deutlich bescheidener aus: Statt täglich gibt es nur zweimal in der Woche Unterricht. Kreuzbergs VHS-Leiterin Monika Breger hält diesen Zustand für unhaltbar: »Wenn diese Menschen nicht Deutsch lernen dürfen, werden sie eines Tages ausgegrenzt und bilden dann ein soziales Problem«. An eine Besserung ist jedoch kaum zu denken. Angesichts des Defizits in den öffentlichen Kassen hat der Senat ein rigides Sparprogramm verordnet. Leidtragende sind wiederum die Ausländer: Die Gebühren für »Deutsch als Fremdsprache« sind um 120 Prozent gegenüber dem letzten Semester gestiegen. Die allgemeinen Gebühren für alle anderen Kurse wurden um 25 Prozent angehoben. Hinzu kommen weitere Einschränkungen: Weggefallen ist etwa die Ermäßigung für die Belegung eines zweiten Kurses. Ab Januar nächsten Jahres soll zusätzlich die Mindestzahl der Teilnehmer pro Kurs von zehn auf zwölf erhöht werden. Immerhin hat der Senat sich die Zusicherung abringen lassen, 1994 eine Zwischenbilanz zu ziehen und die Mindestzahlen noch einmal zu überprüfen. Für Ellerbrock ist diese Kursgröße mit einigen Angeboten im VHS-Programm nur schwer zu vereinbaren: »Wie soll ein Dozent erwachsene Analphabeten, die viel persönliche Zuwendung brauchen, in einem so großem Kurs vernünftig betreuen?« Genauso seien Gesprächskurse zwischen Immigranten und Deutschen kaum noch »vernünftig« durchführbar.

Über mangelnden Zulauf können sich viele Volkshochschulen trotz aller Unkenrufe nicht beklagen. Zwar ist in Kreuzberg die Zahl der Anmeldungen um rund 10 Prozent zurückgegangen, aber die meisten Volkshochschulen melden volle Kurse. Die VHS Friedrichshain, ein schmuckloser Plattenbau,verzeichnete schon am ersten Tag doppelt so viele Anmeldungen wie im Jahr zuvor. Leiter Bernd Hölters, seit April im Osten, glaubt, den Grund zu wissen: »In eine moderne Einrichtung gehören nicht nur Grünpflanzen, sondern auch bürgernahe Dienstleistungen«. So führte er — im Osten bisher einmalig — die »bargeldlose Anmeldung« per Überweisungsauftrag ein: »Dadurch sind bei uns manche Schlangen erheblich verkürzt worden.« Was die Beliebtheit der Kurse angeht, hat Hölters, der vorher zwölf Jahre an der VHS in Tempelhof tätig war, deutliche Unterschiede zum Westen feststellen können. Vor allem berufsbezogene Fortbildungen werden angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit bevorzugt. Große Renner seien im Osten vor allem die Englisch- und Computerkurse, wie Hölters erzählt. »Größere Zurückhaltung« hat er in den Bereichen beobachtet, die gerade im Westen seit Jahren sehr populär sind: Lebenshilfe, Yoga, Psychologie oder Umwelt- und Gesundheitsberatung. Auch bei den gesellschaftspolitischen Themen gebe es ein »ganz vorsichtiges Abtasten«. So hat denn Hölster auch seinen Dozenten eingeschärft, sich den Wünschen der Teilnehmer mehr als bisher zu öffnen: »Ich habe von vornherein gesagt: Ich nehme kein Angebot mehr an, bei dem das Ergebnis des Kurses schon im Titel angekündigt wird«. Ärgerlich sei da etwa ein »Anti-Rassismus- Workshop«, der so tue, als »könne man dadurch zum Anti-Rassisten ausgebildet werden«. In manchen Kursen, so Hölster, werde »manchmal in geradezu zynischer Weise am Publikum vorbeigeredet — das versaut jede politische Bildungsarbeit«. In Friedrichshain werden denn auch Projekte angeboten, die mit konkreten Dingen vor Ort zu tun haben. Etwa ein Kurs über Straßennamen und Denkmäler, von denen einige nicht erst seit dem Abriß des Lenin- Denkmals in Friedrichshain ins Gespräch gekommen sind. »Unser Ziel als VHS muß es sein, bei solchen Themen zu moderieren, überhaupt Öffentlichkeit herzustellen«. Hölster will mit seiner VHS auch verschiedene Institutionen verzahnen. So laufen einige Kurse in Zusammenarbeit mit der Humboldtuniversität — etwa bei juristischen Themen. Mit dem Besuch von Vorlesungen in der Universität hofft er, die Scheu mancher Bürger vor den »heiligen akademischen Hallen« abzubauen.

Daß den östlichen Volkshochschulen im neuen, westlichen Gewand ein erfolgreiches Dasein beschieden sein wird — daran glaubt Hölster fest. Nur 6.000 Kataloge konnte er für dieses Semester drucken lassen — viel zuwenig, aber mehr gab das schmale Budget nicht her. Schon nach einer Woche ist Hölster gezwungen, Kopien von den Rest-Exemplaren zu ziehen. Ein Zustand, über den seine Kollegen im Westen mit bis zu 40.000 Auflage »nur lachen können«. Severin Weiland