Hintern in der Hose

■ Dicke Frauen müssen nicht auf flotte Fetzen verzichten. Aber pfiffige und schicke XL- bis XXXL-Klamotten sind in den meisten Läden noch Mangelware. Katharina Schmutz hat in einschlägigen Berliner Boutiquen...

Dicke Frauen müssen nicht auf flotte Fetzen verzichten. Aber pfiffige und schicke XL- bis XXXL-Klamotten sind in den meisten Läden noch Mangelware. KATHARINA SCHMUTZ hat in einschlägigen Berliner Boutiquen rumgestöbert und rumprobiert.

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ella von Sinnen ist reine Geschmackssache. Ich bewundere sie. Nicht wegen ihres Showtalents, sondern wegen der Nonchalance, mit der sie ihre 180 Pfund Lebendgewicht in die wildesten Fetzen zwängt. „Ich will so bleiben, wie ich bin.“ Du darfst, Hella. Wahrscheinlich wurdest du als Kind auch traumatisiert von längsgestreiften Hängerkleidchen und Pepita-Röcken, während andere Mädchen mit Rüschen und goldenen Gürtelchen herumstolzierten.

Was aber machen die schicken Dicken, die keine Kostümbildnerin haben und sich keine Schneiderin leisten können? Selber nähen — Freistil oder nach verbreitertem 42er-Schnitt — ist nicht jederfraus Sache und Talent. Kaufhäuser und Boutiquen abklappern, immer in der Hoffnung auf ein akzeptables Stück inmitten des traurigen Angebots auf den Ständern hinter den Reitern 46, 48, 50...? Ein Blick in die Abteilung für Umstandsmoden? Wie oft bin ich danach doch wieder bei den Herrenhemden gelandet, die dank des neuen männlichen Modebewußtseins inzwischen recht ansehnlich sind. Ärmel hochkrempeln und fertig — allerdings nicht für jeden Anlaß passend (und bei Hosen, Jacken, Mänteln klappt das leider nicht).

„extraweit“: kleinkariert rennt keine Kundin raus

Textilindustrie und Modehäuser setzen in den letzten Jahren zunehmend auf Dicke. Das ist bei rund 25 Prozent übergewichtiger Bevölkerung verständlich. Wo aber landen die flotten Fummel, die seit einiger Zeit bei den Modemessen in Düsseldorf und Berlin präsentiert werden? Wo gibt's in Berlin Klamotten in XL bis XXXL — und dann noch zu erschwinglichen Preisen?

Meine Lieblingsboutique war das „extraweit“ in der Kreuzberger Großbeerenstraße. Frustriert von geblümten Kittelschürzen und Kastenröcken fing dort vor rund zehn Jahren Gabriele Baans an, für dicke Frauen wie sie flotte Fetzen zu nähen. Die Kollektion war erfolgreich, der kleine Laden auch, bis „extraweit“ eine Filiale in der Nürnberger Straße aufmachte. Das Geschäft in der Großbeerenstraße hat inzwischen angeblich die Besitzerin gewechselt und heißt nun „supersize“, verkauft aber nach wie vor meist „extraweit“-Klamotten in der Größe 44 bis 60. Einige sehen allerdings aus wie Ladenhüter der letzten und vorletzten Saison. Die Auswahl ist bescheiden, dafür läßt sich das eine oder andere Schnäppchen machen: Leggings und Steghosen für 49DM, bunt gestreifte Seidenhosen für 98DM.

Die nächste Adresse ist natürlich die Nürnberger Straße „extraweit“. Die neue Gabriele-Baans-Herbstkollektion ist gerade eingetroffen, ergänzt durch ein paar wirklich schöne Stücke von anderen Firmen: enge oder weitgeschnittene Hosen, schmale Röcke, Kostüme und Jackets, Strickensembles, Swingermäntel. Es dominiert meine Lieblingsfarbe Schwarz, kombinierbar mit Teilen in Knallrot, Grün oder Rost. Kleinkariert rennt hier keine Kundin raus, dann schon eher großkariert: rot-gelb-schwarzes Sakko — macht auf großen Oberflächen echt was her. Oder vielleicht eine schwarz- rote Steghose im Hennentrittmuster (für etwa 250DM) kombiniert mit einer tollen schwarzen Strickjacke, abgesetzt mit roten Passen, Aufschlägen und Knöpfen für schlappe 409DM. Ich konnte mich gerade noch bremsen. Früher sollen die Kundinnen von Gabriele Baans sogar aus Westdeutschland angereist sein, inzwischen gibt es in Münster und Rheine auch „extraweit“.

Mit Dicken wird ein dickes Geschäft gemacht

„XL Hülle für Fülle“ eröffnete vor vier Jahren in der Schöneberger Akazienstraße. Ende 1991 kamen die „XL Dessous“ hinzu. Doch der Geschäftserfolg hielt offenbar mit den steigenden Berliner Mietpreisen nicht Schritt. Inzwischen drängt sich XL samt Dessous in einem sehr kleinen Laden in der Akazienstraße. Die Oberbekleidung reißt mich nicht vom Hocker. Aber die Dessous und Morgenmäntel können sich sehen lassen, sogar die Badeanzüge, bei denen endlich auch mal die Brustschalen paßten. Doch 259DM waren mir dann doch zu schade für das Chlorwasser in den Berliner Schwimmbädern. Schwach geworden wäre ich fast bei den neuen Pullovern — bis ich das Preisschildchen las (375DM).

Apropos Preise: Boutiquen und kleine Modegeschäfte sind natürlich teurer als Benetton, New Yorker oder H&M — letzterer führt inzwischen übrigens am Ku'damm ein kleines „BiB“ (Big is beautiful)-Programm bis Größe 52. Aber der Verdacht drängt sich auf, daß mit Dicken ein extra dickes Geschäft gemacht wird. Schon die Hersteller preisen ihre Übergrößen-Modelle deutlich über den Normalgrößen aus, und das läßt sich sicher nicht allein mit dem größeren Stoff- und Fadenverbrauch erklären. Auf die Großhandelspreise schlägt dann der Einzelhandel in der Regel mindestens 100 Prozent, plus 14 Prozent Umsatzsteuer.

Ihren Preis haben auch die alteingesessenen „Reski-Moden“ in der Uhlandstraße 104-105. „Ein Herz für Mollige“ steht im Schaufenster, und genauso geht's drinnen zu. Die Chefin ist üppig und ihre Mitarbeiterinnen auch. Das schafft Vertrauen bei den Kundinnen ab Mitte 40. Sozialarbeit gehört zum Metier, häßlich oder dick ist hier keine, höchstens stattlich. Hier wird probiert und beraten, und wo das Traumkleid nicht paßt, wird rasch abgesteckt. Kürzen, Weiter- oder Engermachen erledigt der Haus-Service. Vor dem Spiegel dreht sich eine 52er Größe in einem blaugrundigen fließenden Plissee-Abendkleid unter kritischen Blicken und fachkundigen Anmerkungen von Verkäuferinnen, herumsitzenden Begleitpersonen und anderen Kundinnen. Die Dame im Mittelpunkt des Interesses stellt erfreut fest: „Endlich mal eine, die sagt, daß ich eine gute Figur habe.“ Ein Modegeschäft nach altem Schlag, wo die Kundin noch Königin sein darf. Meinen Geschmack trafen die Reski- Moden nicht, obwohl ich ein paar kleidsame Steghosen und Swingerjacken entdeckt habe — und einen Aufkleber in der Umkleidekabine: „Kein Hintern in der Hose, aber ,La Paloma‘ pfeifen.“ Genau!

Gell, Hella?