DER WEG IN DIE HOCHGLANZPROSPEKTE

■ Bauherrn und Reiseveranstalter haben eine der letzten thailändischen Inseln, Koh Chang, im Golf von Siam entdeckt

Bauherrn und Reiseveranstalter haben eine der letzten thailändischen Inseln, Koh Chang, im Golf von Siam entdeckt.

VONVOLKERKLINKMÜLLER

Der Schweiß rinnt aus allen Poren. Seit einer Stunde führt der schmale Dschungelpfad über modriges Grünzeug und umgestürzte, pilzbewachsene Baumstämme bergauf. Plötzlich endet das Dickicht aus Bambus, Dornengestrüpp und Kletterpflanzen an einem Talkessel. Malerisch und mit Getöse rauscht der 20 Meter hohe Klong-Praw-Wasserfall in die Tiefe. Nichts kann mehr von einem Sprung in das kühle Naß des Fels- Schwimmbeckens abhalten. Schmale Rinnen, in denen das kristallklar sprudelnde Wasser zum nächsten Dschungel-Swimmingpool strömt, laden zur Rückenmassage ein. Exotische große Schmetterlinge tanzen über dem natürlichen Bassin — sonst weit und breit niemand. Kaum zu glauben: ein Wasserfall in Thailand, der noch nicht vermarktet und durch Touristenhorden erobert ist. Doch davon gibt es auf Koh Chang gleich mehrere.

Auf der Landkarte ist die Insel kaum auszumachen

Sie sind eingebettet in eine faszinierende Welt aus unzerstörtem Regenwald und Bergen, deren Gipfel sich bis zu 800 Meter in den Himmel recken. Bis Mitte der achtziger Jahre war die „Elefanteninsel“ militärisches Sperrgebiet, weil sie vor der Küste des von Unruhen gebeutelten Kambodscha und damit im Windschatten jeglicher Entwicklung lag. Höchstens mal ein Boot vietnamesischer Flüchtlinge ist dort gelandet. Heute gehört das 30 Kilometer lange und acht Kilometer breite Eiland im Golf von Siam zu den wenigen Fleckchen Erde, deren ursprüngliche Natur noch bewahrt ist. Aber wie lange plätschert das glasklare Naß der Wasserfälle noch für die Unberührtheit der Natur? Längst wird Koh Chang nicht mehr allein als Flüstertip in Traveller-Quartieren gehandelt. Bauherren und Reiseveranstalter haben die Insel entdeckt, die — obwohl sie die zweitgrößte Thailands ist — auf aktuellen Landkarten kaum auszumachen ist. Mit Nachdruck wird an der konsumgerechten Aufbereitung für Hochglanzprospekte gebastelt. Die Zeichen stehen auf Massentourismus und damit auf Gefährdung durch Bauwut, Überfremdung und Umweltzerstörung. Schon vom Festland aus, wo das Mittagsboot vor rund zwei Stunden abgelegt hat, sind die Höhenzüge des Archipels erkennbar. Nun bereitet sich die kleine Schar der Traveller zum Aussteigen vor. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln haben sie die 387 Kilometer von Bangkok zurückgelegt, denn privat organisierte Minibus-Transfers sind noch die Ausnahme. „Das ist ja wie bei den Boat people“, feixt einer von ihnen, als am palmenbewachsenen Inselufer zwei Langboote starten. Durch die aufgewühlte See quälen sie sich heran, um die Neuankömmlinge abzuholen. Schon leichter Wellengang beschert an dieser Inselseite überaus spannende Landemanöver. War das Einsteigen im Fährhafen Laem Ngop noch mit einfachen Kletterpartien zu bewältigen, gerät das Aussteigen zu spannenden Balanceakten. Doch dieses Mal landen Passagiere und Gepäck trocken in den schaukeligen Longtail-Booten, die sie zu den Bungalow-Anlagen am White Sand Beach bringen. Holzstege gibt es nicht. Sie sind an dieser Inselseite wegen Landschaftsschutz verboten. Thailands Regierung will dazugelernt haben, hier nur naturverträglichen Tourismus erlauben: Bereits 1982 wurden Koh Chang und 39 kleinere Nachbarinseln zum „Koh Chang National Marine Park“ erklärt. „Er ist eingerichtet, um die Natur und unberührte Schönheit der Insel zu schützen. Der Park unternimmt jede Anstrengung, seine szenische Schönheit für Erholungs-, Lehr- und Wissenschaftszwecke zur Verfügung zu stellen“, heißt es schwammig in einem amtlichen Faltblatt.

Trotz zahlreicher negativer Erfahrungen der Inselwelt im Süden Thailands fehlen überzeugende Konzepte der staatlichen „Tourism Authority of Thailand“, um die einmalige Natur Koh Changs langfristig zu erhalten. Mit Wachstumsraten von bis zu 23,5 Prozent sind Thailands Besucherzahlen seit 1984 schwindelerregend auf über fünf Millionen im vergangenen Jahr angestiegen. 102 Millionen Dollar sind zwischen 1994 und 1998 für die Erweiterung von Fremdenverkehrseinrichtungen eingeplant. „Die Ausbeutung beliebter Regionen soll auf die Möglichkeiten der Infrastruktur begrenzt werden, um der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten“, heißt es in der Tourism Business and Guide Bill. Im April ist sie nach jahrelanger Debatte als Bekenntnis zu kontrollierter Entwicklung in Kraft getreten. Doch das Urlaubspotential wird voll ausgeschöpft, überall nach Neuland gesucht.

Clevere Investoren folgen den Travellern

Noch sind es vorwiegend Rucksack- Reisende aus aller Welt, die in den Bambus-Herbergen wohnen. Doch an die Fersen der Traveller haben sich — wie einst auch auf den Boom- Inseln Samui, Phuket und Phi Phi — clevere Investoren geheftet. Bungalow-Siedlungen aller Kategorien sind in Planung gegeben. Abenteuerliche Szenen — wie sie sich bei der Ankunft von Besuchern auf Koh Chang zur Zeit noch abspielen — werden schon bald der Vergangenheit angehören. Der erwartete Touristenstrom soll künftig organisiert und konzentriert an der Nordseite angelandet werden. Eilig treibt das Rooks-Unternehmen, einer der mächtigsten Konzerne Thailands, die „Entwicklung“ und Vermarktung Koh Changs voran.

Bereits vor drei Jahren, als sich die wenigen Inselgäste noch per Handschlag begrüßten, hat es am Kai-Bay-Beach das luxuriöse Koh Chang Resort in die Wildnis gesetzt. Daraufhin haben sich die Betreiber des „Orientals“ in Bangkok — es gilt als das beste Hotel der Welt — für ein umfangreiches Projekt das Nachbargrundstück gesichert. Mit Schwimmbad und Live-Musik wächst unterdessen als zweiter Meilenstein der Rooks-Gruppe das Hotel „Cabana“ in Klong Son heran, wo auch der große Fähranleger entstehen soll. „Zwei Autofähren sind bereits in Auftrag gegeben“, erzählt der Vorarbeiter. „Wenn sich in Pattaya erst einmal herumgesprochen hat, daß man mit dem Auto auf die Insel fahren kann, ist hier der Teufel los.“ Mit Dynamit, Motorsägen und Planierraupen wurde dafür gesorgt, daß sich schon Konturen der geplanten Ringstraße erkennen lassen. Eines Tages soll sie alle touristisch interessanten Buchten miteinander verbinden.

Vorerst hält sich der Inselverkehr — mit rund zehn Jeeps und einigen Motorrädern — in Grenzen. Auch sonst ist die Erschließung der Insel beruhigend weit zurück. Solange sich das dicke Stromkabel zum Festland nur in den Köpfen der Bezirksregierung windet, bleiben Einheimische und Besucher von Fernsehen, Radio und Telefon weitgehend verschont. Keine Post und keine Polizei, weder Geldwechsel noch Geschäfte gibt es auf Koh Chang. Nicht einmal Fisch kann man kaufen. Der wird in der Provinzhauptstadt Trat auf dem Festland vermarktet — und das, obwohl die Bewohner neben dem Anbau von Kokosnüssen und Gummibäumen vorwiegend vom Fischfang leben. Seit die Insel aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wird, bietet auch der aufkommende Tourismus eine Einnahmequelle. So mancher Fischer holt die Netze endgültig ein, um neben seinem Pfahlhaus schlichte Gästehütten auf den Puderzucker-Strand zu setzen.

Die Bodenpreise sind explodiert. Viele wollen am Ausverkauf Koh Changs verdienen. Auch Jürgen, der seit zehn Jahren in Thailand lebt und sein Geld in eine Bungalow-Anlage mit gehobenem Standard gesteckt hat. Nach der Öffnung Kambodschas, so meint er, werde die ganze Region boomen — und wenn erst der Bau eines Highways von Bangkok nach Saigon in Angriff genommen werde... „Ich liebe diese Insel über alles. Aber wenn man die Entwicklung schon nicht aufhalten kann, sollte man wenigstens daran verdienen“, sinniert der 49jährige Berliner. Mit viel Geld und Schweiß haben er und sein Schweizer Partner James das „Plaloma Cliff Resort“ hochgezogen. Ihre zehn Doppel- Bungalows sind bereits mit Ventilatoren ausgestattet — auf Koh Chang noch eine Besonderheit. Nicht nur der Stromgenerator, sondern auch jeder Sack Sand und sämtlicher Zement mußten vom Festland herangeschippert werden.

Wer zu uns kommt, will Natur

Beim Bau waren strenge Auflagen einzuhalten. Besonders penibel überwacht wurden diese allerdings nicht. Trotzdem hat jeder Bungalow eine aufwendig ausgehobene Klärgrube. „Da haben unsere Thai-Arbeiter fast rebelliert. Die wollten nur ein Plastikrohr ins Meer verlegen“, erinnert sich James. Viele neue Palmen wurden gesteckt, damit sich die Anlage unauffällig in die langgestreckte Bucht einfügt. Auf dem Rasen stolziert Pfau Wilhelm, während das Gänsepärchen beim Frühstück nach den Gästen schnappt und sich Bull-Terrier Lilly wieder einmal von Kampfhahn Max durch die Gegend scheuchen läßt. „Wer zu uns kommt, will Natur“, wissen Jürgen und James. Da nehmen Touristen schon mal bereitwillig in Kauf, wenn sich die Ameisen auch durch frisch bezogene Doppelbetten nicht von ihren gewohnten Dschungelrouten abbringen lassen oder Skorpione für eindrucksvolle Urlaubserlebnisse sorgen. Doch der Kleinzoo ist noch nicht komplett. „Was ist eine Elefanteninsel ohne Elefanten?“ meint James und erzählt von zwei Dickhäutern, die er zur nächsten Saison kommen lassen will.

Bis sich die ersten Besucher auf Elefanten durch den Dschungel tragen lassen, bleibt's beim alten Angebot. Es spielt sich fern von Sonnenschirmen und Souvenirverkäufern, Windsurfern und Wasser-Scootern, Bars und Boutiquen ab. Mit Fischerbooten lassen sich die Gäste an einsame Strände bringen. Stundenlange Fußmärsche wären nötig, um sie zu erreichen. Auch ein Abstecher zum Schnorcheln in die ausgedehnten Korallengärten der Nachbarinseln ist beliebt. Andere faulenzen lieber im Schatten der Palmen und üben sich im Kokosnuß-Weitwurf. Kulturbeflissene schauen Inselbewohnern bei der Kautschuk-Ernte über die Schultern oder trekken mit Machete auf eigene Faust durch das Inselinnere.

Die Reize der Insel sind groß, doch wie viele Besucher kann Koh Chang verkraften? Schon jetzt reichen die Flüsse und Bäche am Ende der Trockenzeit kaum noch aus, um gleichzeitig Plantagen und Urlauber mit ausreichend Wasser zu versorgen. Das Müllproblem stinkt zum Himmel. Noch vor kurzem wurden sämtliche Abfälle im Dschungel abgeladen. „Jetzt haben wir ein großes Loch gegraben. Da wird alles reingekippt und angezündet“, erklärt Ek Vannakun, Betreiberin des Sunsai- Resorts. Das sei ihr — wie auch allen anderen Vermietern auf Koh Chang — während einer Konferenz mit den Behörden empfohlen worden. So gehen Tag für Tag Hunderte Plastikflaschen in Qualm auf, werden Unmengen von Glasflaschen zertrümmert und schwarzgekohlt. „Wer das Zeug auf dem Festland verkauft, würde so manchen Baht zusammenbekommen“, weiß Ek. Auch als gebürtige Insulanerin konnte sie niemanden dafür gewinnen, Glas und Plastik hinüberzutransportieren.

Die Insel hat mit Umweltsünden zu kämpfen, aber noch ist der Traum vom Paradies nicht ausgeträumt — besticht Koh Chang mit der einmaligen Atmosphäre einer Bilderbuch- Insel. Wenn abends die Sonne farbenprächtig ins Meer taucht, lebt der Dschungel noch einmal auf. Schwatzend suchen Tropenvögel in den Palmenwipfeln ihren Schlafplatz, ein Seeadler dreht seine Runden. Aus der Ferne ist das Kreischen einer Affenhorde zu vernehmen. In den kleinen Restaurants am Strand werden die Petroleumlampen angezündet. Am Horizont locken Fischerboote mit Scheinwerfern wieder Tintenfische an, während der Fang der vergangenen Nacht bereits unwiderstehlich duftend zwischen Zwiebeln und Knoblauch schmort.