Der große Bekannte-Unbekannte

■ Erste Duchamp-Ausstellung im Osten der Republik

Vielleicht wollte er sich nur einen Jux machen: Von Eliot Elisofon (!) wurde Marcel Duchamp 1952 mehrfach belichtet abgebildet, wie er eine Treppe heruntersteigt. Angezogen, nicht nackt. Die „Ein- Mann-Bewegung“ der Kunstgeschichte, wie ihn bereits de Kooning im Jahre 1951 betitelte, enthüllt sich vor der Kamera und geht zuletzt rechts aus dem Bild, während die Hüllen bleiben. Einige davon hat der Berliner Sammler Michael Behn in einer biographischen Ausstellung des „an-artistischen“ Werkes rekonstruiert, bescheiden und exquisit wie der Künstler selbst. Ohne Originale.

Der Ort für die Duchamp-Dokumentation trägt nicht unwesentlich zur Verschärfung in der Beschäftigung mit dem „Oeuvre“ des Ideenproduzenten bei, der neben Warhol bisher als einziger vielleicht die Moderne gemeistert hat. Die Moritzburg, ein prunkvolles Wasserschloß in der Nähe von Dresden, im toten Winkel des Autoatlas gelegen, wird dennoch von einer ungeheuren Menschenmasse frequentiert. Ausgerechnet das Kavaliershaus in diesem Schloßgarten hat Michael Behn zur Würdigung Duchamps gewählt. Es ist mehr eine Dekonstruktion des Mythos vom Museum als eine Profanisierung am lustbetonenden Ort. Die Konzeption des Künstlers ersetzt das längst vergangene Verlangen nach der Konkubine, wie auch Galerie und Bordell sich mehr und mehr vermischen. Für Duchamp war dieser Schachzug gegen das Unbehagen in der Kultur allerdings schon weitgehend aufgeklärt: „Sehr bald wurde ich mir der Gefahr bewußt, welche darin lag, diese Ausdrucksform unterschiedslos zu wiederholen, und ich beschloß, die Produktion von ,readymades‘ auf eine kleine Anzahl pro Jahr zu beschränken. Zu der Zeit wurde ich gewahr, daß Kunst, mehr noch für den Betrachter als für den Künstler, eine Sucht bildende Droge darstellt, und vor solcher Ansteckung wollte ich meine ,readymades‘ bewahren.“ (Duchamp 1961)

Es mag sein, daß sein sogenanntes „Schweigen“ im Kunstbetrieb eine Verweigerung an die Abhängigkeit darstellte. Behn behält in seiner Ausstellungssituation zumindest das dissidentische Bekenntnis als Zentrum der Beschäftigung mit dem Künstler bei. Die Sätze zur Rettung des ,readymade‘ sind auf einen DIN-A4- Bogen kopiert und dann unverblümt an die Wand geheftet worden, daneben steht eine Replik des Flaschentrockners, der schon zu Lebzeiten Duchamps niemals als Original das Deckenlicht einer Galerie erblickt hatte. In dieser Hinsicht verzichtet die Ausstellung bewußt auf eine rätselhafte Verklärung. Sie informiert über den Umschlag der Vermischung von Kunst und Leben in Wissen. Nicht Objekte stehen deshalb im Mittelpunkt der Präsentation, sondern vielmehr Schriften, Dokumente, Bücher von und über Marcel Duchamp. Sie legen einige Zugänge zu den Arbeiten offen, stellen Bezüge zwischen Objekten wie dem „Großen Glas“ und dem Diktum des Prozeßhaften in der Kunst her, oder illustrieren ganz einfach die Liebe des Künstlers zum Schachspiel. In diesem Bemühen schafft Behn tatsächlich einen abbildenden Blick auf die Künstlerlegende, ohne ins Malerische der schönen Installation zu verfallen. Die Leinwand bleibt ein Fossil, so wie es der rückwärts gelesene Namen des Fotografen lange vor der ersten Duchamp-Ausstellung gewußt hat. Auch die Signatur ist nur eine Weiterschrift, der sich Duchamp bedient. Am Ende ist man nicht am Ziel, sondern nur auf Wege geschickt worden. Aber die berühmten „Schachteln“, Miniaturmodelle, in denen Duchamp auf Puppenhausgröße verkleinert seine „großen“ Projekte bastelnd wiederholt hat, können die verwirrten BesucherInnen trösten. Ganz wollte auch Behn nicht auf Fetische verzichten. Es fragt sich nur, wem diese Gegenstände an der Dresdener Peripherie postiert, Schutz bieten? Im Gästebuch stehen Eintragungen selbst aus Amerika, es könnte auch Zufall sein. Harald Fricke

Marcel Duchamp, bis zum 13.9. im Kavaliershaus der Moritzburg bei Dresden, täglich 10 bis 17 Uhr.