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■ Ein Frager ist ein rohes Ei * "Saal der verlorenen Schritte", arte, Do., 20.40 Uhr

Darf ich eine Frage stellen?“ Nein darf er nicht. Jedenfalls nicht jetzt in Berlin im Feierabendgewimmel. Der Ethnologe Lazare Sehoueto aus Benin notiert in seinem Tagebuch: „26 Leute gaben keine Antwort, 23 mußten einkaufen, und 25 hatten keine Zeit. In Afrika kann niemand einem Fragenden die Antwort verweigern. Ein Frager ist ein rohes Ei.“

Der Student Sehoueto betreibt bei den Deutschen Feldforschung. Eine wissenschaftliche Methode, die hauptsächlich Weiße aus Europa und Amerika seit den 20er Jahren mit Vorliebe in „exotischen“ Kulturen anwenden, um den Alltag der Fremden zu verstehen. Was kommt dabei raus, wenn dieser — oftmals eurozentrische — Spieß endlich umgedreht wird? Dann reißt er Wunden auf. Jeder Stich ist ein Volltreffer.

Der Berliner Dokumentarfilmer Benno Trautmann begleitet Sehouetos ethnologische Sicht. Die Zuschauer folgen den Blickwinkeln, die sich zu einem gleichschenkeligen Dreieck zusammenfügen. Durch die Kamera, durch Sehouetos Augen und durch das Spiegelbild auf uns selbst. Gesprochen wird kaum. Dafür beobachten wir, wie Sehoueto seine Entdeckungen niederschreibt, mit dem Leben in Afrika vergleicht und zu begreifen versucht.

Sein Blickpunkt gilt der Einsamkeit der deutschen Menschen bis über den Tod hinaus. Zufällig folgt er auf einem Friedhof als einziger Trauergast einem Begräbnis. „Eine soziale Senke“ nennt das der Sargträger. Der Tote hatte eben kein Geld. „In zivilisierten Ländern ist das so, da müßten wir ja unsere Gesellschaft umstürzen, um ihre Rituale wieder einzuführen“, erklärt er dem Schwarzen. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer Lärm. Ein Bagger schaufelt das kleine Loch zu.

Immer wieder schalten sich lange Schnitte in Sehouetos Blickrichtung — auf schmutzig-braune Wände der Eingangsschlucht eines „Selbstmordhochhauses“. Der Uringeruch steigt in die Nase, trotz Mattscheibe. Garniert mit dem ständigen, nervigen Krach der Großstadt — von Autos, der U-Bahn oder Spielautomaten. In der Berliner Eckkneipe sitzen Mann und Frau an zwei verschiedenen Holztischen. Ein stummes Bild, wie von Deix. Wie hält Sehoueto es hier aus? Nein! Wie halten wir es hier aus?

Der Beniner führt vor, wie unsere Gesellschaft langsam dahinsiecht. Die hier lebenden Afrikaner können sie vielleicht wiederbeleben. Durch den engen Kontakt zu ihren Ahnen, durch Farben, Musik und Tanz. Die Filme aus dem Themenabend „Fremde Blicke“ sollten als fester Programmblock in jedem Kanal gezeigt werden — als Ersatz für sämtliche pseydoanalytischen Sprechblasen nach Rostock. Caroline Schmidt-Gross