Ein Foto nur

■ Zur unheimlichen Einigkeit zwischen den Generationen in Ostdeutschland

Ein Foto nur Zur unheimlichen Einigkeit zwischen den Generationen in Ostdeutschland

Ein Foto im Lokalteil einer Tageszeitung: eine Szene vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, wo nächtelang Steine und Brandsätze gegen Ausländer flogen: Eine Frau im Jogginganzug, an die vierzig mag sie sein, packt ihren steinewerfenden, mit Kapuze und Halstuch vermummten Sohn bei der Bomberjacke und schüttelt ihn.

Ein Foto, das dadurch auf der Netzhaut haften bleibt, weil es Seltenheitswert hat in diesen Tagen. Seit Rostock gewinnt man den Eindruck, 13-, 15-, 17jährige Burschen kämen heutzutage als brandschatzende Fertigjugendliche auf die Welt. Elternlose Wesen, von pädagogischen Bemühungen unberührt, von moralischen Werten frei, von sämtlichen Sozialisationsinstanzen ferngehalten. Keine Elternversammlung meldete sich bisher zu Wort, um zumindest Hilflosigkeit und Erschrecken über das zu artikulieren, was da aus den eigenen Sprößlingen gerade wird. Von keiner Lehrerkonferenz war zu hören, die angesichts des offenkundigen Versagens den pädagogischen Bankrott anmeldete: Was, bitte schön, haben Familie und Schule getan, daß Kinder jetzt wie außer Rand und Band vor Asylheimen gröhlen? Und was vor allem haben sie unterlassen, daß ihre Zöglinge — kaum strafmündig geworden — als wandelndes Sicherheitsrisiko durch die Straßen ziehen? Viele Erwachsene stärkten ihren Kindern beifallklatschend den Rücken. Eine selten dagewesene, eine unheimliche Einigkeit zwischen den Generationen, die gerade in Ostdeutschland genug Anlaß hätten, sich aneinander zu reiben. Aber gibt es sie denn wirklich nicht, die anderen Erwachsenen? Eltern, Lehrer, die nicht billigen, was dort in Rostock geschah und andernorts immer wieder geschieht?

Die eigenen Probleme mögen im Osten der Republik derzeit vieles erklären, aber nicht entschuldigen: Eltern und Lehrer fühlen sich mit den neuen Aufgaben überfordert, die Suche nach einer beruflichen Perspektive kostet viel Kraft, und die eigene Unsicherheit macht es nicht gerade leicht, den Kindern eine Orientierung zu geben. Doch bei allen Problemen und aller Orientierungslosigkeit hätten die pädagogischen Instanzen wenigstens den einen, eigentlich so selbstverständlichen Wert vermitteln können: daß nichts, kein Mißbrauch eines Rechtsanspruchs, kein ungebührliches Benehmen und keine Straftat die Hatz auf Menschen oder die Todesstrafe rechtfertigt. Von dieser Unterlassungssünde kann man auch noch so gestreßte Eltern nicht freisprechen. Und hier gehören auch die Schulen in die Pflicht genommen. Denn auch eine noch so soziale Misere enthebt nicht der Möglichkeit zu Zivilcourage. Auch gravierende Fehler der Politik entlassen nicht aus persönlicher Verantwortung. Vera Gaserow