Wem nützt die Vernunft?

■ Nach drei Monaten Stillstand reden Mandela und de Klerk wieder miteinander

Wem nützt die Vernunft? Nach drei Monaten Stillstand reden Mandela und de Klerk wieder miteinander

Hätten die Chinesen auf ihren Protest verzichten sollen, weil das Regime in seiner Antwort nicht vor Blutvergießen zurückschreckte? Hätten die Ostdeutschen ihre Leipzig- Demonstrationen sein lassen sollen, weil die Gefahr bestand, daß Honecker seine Polizei schießen ließ?

Südafrikas Anti-Apartheid-Allianz „African National Congress“ (ANC) nahm ein demokratisches Recht in Anspruch, als sie die Demonstration von über 40.000 Menschen gegen die repressiven und illegitimen Verhältnisse im von Pretoria künstlich am Leben gehaltenen „Homeland“ Ciskeis organisierte. Das einzige Mittel übrigens, das der Opposition zur Verfügung steht. Moralisch gerechtfertigt also war die Demonstration und wären auch Proteste gegen die anderen Statthalter von de Klerk. Doch sowohl bei ANC-Präsident Nelson Mandela wie auch Generalsekretär Cyril Ramphosa überwog die Vernunft. Sie wiesen die Radikalen in den eigenen Reihen in die Schranken und hoffen, nach dreimonatiger Krise den Pfad aus der Sackgasse zu weisen.

Der Klügere gibt nach, heißt das Sprichwort. Die ANC-Führung will keine neue blutige Konfrontation wie in den achtziger Jahren. Sie setzt sich damit jedoch zugleich der Gefahr aus, den Respekt der eigenen Anhänger zu verlieren, die immer ungeduldiger auf verbesserte Lebensumstände warten. Das Treffen zwischen de Klerk und Mandela könnte deshalb tatsächlich eine der wenigen verbleibenden, wenn nicht gar die letzte Chance sein, eine Verhandlungslösung zu erreichen. Mandela und Ramphosa wollen zudem nicht die Mitverantwortung für weiteres Blutvergießen tragen. Die UN-Beobachter und damit verbundene internationale Aufmerksamkeit werden es Südafrikas Sicherheitskräften in Zukunft auch schwerer machen, wie bisher alle Regeln der Menschlichkeit zu mißachten. Zudem gibt es Ansätze zu einer Reform der Polizei. Das sind sicherlich kleine Erfolge des ANC, aber viel mehr wäre durch einen weiteren Verhandlungsboykott wahrscheinlich nicht herauszuholen gewesen. Bisher jedoch stellte sich die weiße Minderheitsregierung in ihrem Elfenbeinturm und mit ihrem mehr als vagen Wissen über die Stimmung in den Schwarzenvierteln taub. Alle Erfahrungen lassen daher befürchten, daß Pretoria die ANC-Bereitschaft zu einem Gipfeltreffen zwischen Mandela und de Klerk nicht als Klugheit, sondern Schwäche auslegt. Mit der Kontrolle über die Sicherheitskräfte, mit de Klerks Entschlossenheit, vierhundert politische Gefangene als Faustpfand zu behalten, setzt die Regierung weiter auf ihre Überlegenheit und die Schwäche des politischen Gegners. Dem mag sogar so sein — aber es wäre fatal, dieses Ungleichgewicht der Kräfte weiter zu strapazieren. Nur dank der Vernunft des ANC schrammte das Land diesmal noch am Abgrund vorbei. Willi Germund, Johannesburg