INTERVIEW
: „Sie hecheln den Zeitfragen einfach Jahre hinterher“

■ Udo Knapp kritisiert die fehlende Interventionsfähigkeit der Grünen

taz: Herr Knapp, als Sie vor zwei Jahren eine internationale „Weltpolizei“ zur Bekämpfung von Aggressoren wie Saddam Hussein gefordert haben, sind Sie von linken Grünen als „rechter Kriegstreiber“ bezeichnet worden. Im Zusammenhang mit dem Kriegsterror im ehemaligen Jugoslawien reden nun sogar linke Grüne wie Claudia Roth einer Art Weltpolizei das Wort. Wandelt Frau Roth, wandelt die grüne Parteilinke inzwischen auf Ihren Spuren?

Udo Knapp: Dieser Wandel bei Claudia Roth kommt zu spät. Das ist das Charakteristische der Linken innerhalb der Grünen: Sie hecheln den Zeitfragen immer um einige Jahre hinterher. Fakt ist, daß sich mit der Wiedervereinigung die außenpolitische Stellung der Bundesrepublik wesentlich geändert hat. Neben den USA ist die Bundesrepublik zum wichtigsten Faktor für die weltweite Durchsetzung von Menschenrechten, Demokratie und freiheitlichen Gesellschaften geworden. Dafür muß die Bundesrepublik Verantwortung übernehmen. Diese Diskussion wollten wir vor zwei Jahren mit der Forderung nach einer Weltpolizei anstoßen. Das ist von den Grünen nicht aufgenommen worden. Heute ist das, was die Grünen dazu sagen, politisch unerheblich. Es kommt darauf an, wie sich die SPD entwickelt. Da sind die Weichen durch die Petersberger Beschlüsse in die richtige Richtung gestellt worden.

Die grüne Debatte interessiert Sie nicht mehr?

Im Prinzip schon, aber auch jetzt werden wieder die Alternativen nicht formuliert. Es geht heute darum, die brutale Verletzung der Menschenrechte in Jugoslawien durch eine Intervention zu beenden.

Unter wessen Dach?

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen muß die Intervention beschließen. Die Golf-Allianz in den Nato-Strukturen muß sie durchführen. Alternativen dazu gibt es nicht. Der Verweis von Roth und Lippelt auf eine reformierte UNO als Voraussetzung für solche Einsätze ist — ähnlich wie bei vielen in der SPD — scheinheilig. Die UNO ist im Schnellgang nicht reformierbar. Die Nato und die Golf-Allianz sind der einzige Sicherheitsgarant der westlichen Welt, den es im Augenblick gibt. Wer also jetzt eine Intervention will, muß genau sagen, von wem sie durchgeführt werden soll. Er darf sich nicht hinter der UNO oder einer nicht näher klassifizierten Weltpolizei verstecken. Die Vorstellung, man könne in einem solchen Land ohne massiven Einsatz mal eben ein paar „Banden“ entwaffnen, quasi ohne Opfer, und dann wieder abziehen, die ist schlicht naiv.

Eine schnelle Befriedung durch eine militärische Intervention halten im ehemaligen Jugoslawien nicht nur Pazifisten, sondern auch Militärs für unmöglich...

... ein durchsichtiges Argument. Jeden Tag kommen Bilder von Marktplätzen, die mit Granaten beschossen werden, von befohlenen Massenvergewaltigungen und rassistischen Vertreibungen. Morgen wird es im Kosovo weitergehen. Dagegen wirken technokratisch-militärische Argumente unglaubwürdig. Für die bosnischen Muslime ist die Haltung der westlichen Länder ebenso Verrat, wie für viele Osteuropäer einst das Arrangement der Westmächte mit Stalin in Jalta Verrat war. Diese Haltung beweist die Unfähigkeit demokratischer Systeme, für Frieden und Freiheit zu sorgen, wenn es notwendig ist.

Die Grausamkeit des Krieges im ehemaligen Jugoslawien kommt jeden Abend per TV in unsere Wohnzimmer. Das gilt für die meisten anderen Bürgerkriegsverbrechen — wie etwa den jahrelangen Terror im Süden des Sudan — nicht. Wenn man die Menschenrechte durch militärische Intervention weltweit verteidigen wollte, gäbe es wohl Dutzende von Staaten, in die man sofort einzumarschieren hätte.

Das ist eines der beliebtesten Gegenargumente. Natürlich ist es absurd zu glauben, man könnte weltweit bei allen Konflikten militärisch präsent sein. Da wird es immer über den Einzelfall Debatten geben. Entscheidend ist, daß man gerade in Deutschland auf seiten der Linken solche Einsätze prinzipiell tabuisiert. Natürlich müssen alle nichtmilitärischen Befriedungsmöglichkeiten Vorrang haben. Aber es gibt Situationen, in denen ein militärischer Eingriff unausweichlich wird. Davor kann sich die Bundesrepublik nach dem Ende der Blockkonfrontation nicht mehr herumdrücken.

Ist damit der grüne Politikansatz der gewaltfreien Konfliktlösung, der Pazifismus schlechthin, überholt? Auch moralisch unhaltbar?

Nein. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß die Grünen nie eine pazifistische Partei waren. Die Grünen haben immer den Aufstand in Nicaragua unterstützt, sie haben immer für El Salvador heftig Waffen gesammelt. Sie haben den Pazifismus da eingesetzt, wo es ihnen politisch eben paßte. Der Pazifismus ist ja gerade kein kollektivistisches Prinzip, sondern ein unveräußerliches individuelles Recht. Das ist immer noch eine richtige Position, und daran lasse ich auch nicht rütteln. Wer sich als einzelner kriegerischen Handlungen verweigert, der hat meinen Respekt. Hier geht es aber nicht um imperialistische Eroberungskriege, sondern darum, daß Verbrecher menschliches Leben auf viehische Weise vernichten. Das kann man nicht einfach hinnehmen, ohne selbst an moralischer Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ich habe immer noch Respekt, wenn einer sagt, ich nicht. Doch das kann nicht die Maxime der bundesrepublikanischen Außenpolitik sein.

Das Bündnis 90 hat sich jetzt entschieden, das Grundgesetz für die Beteiligung deutscher Soldaten an Blauhelm-Einsätzen zu öffnen...

... Das ist nur ein neues Beispiel für grüne Politik im Zeitverzug. Es geht nicht mehr nur um Blauhelme, sondern um ein gleichberechtigtes Beteiligen der Bundesrepublik an der internationalen Sicherung des Friedens. Diese prinzipielle Bereitschaft läßt natürlich Raum dafür, sich aus historischen Gründen im Einzelfall— etwa in Jugoslawien — nicht mit eigenen Soldaten zu beteiligen.

Joschka Fischer hat die Grünen davor gewarnt, jetzt in dieser Frage einen neuen „Glaubenskrieg“ zu entfachen. Ist nicht gerade dieser „Glaubenskrieg“ oder Positionskampf innerhalb der Grünen längst überfällig?

Joschka Fischer ist ein Machtpolitiker und insofern immer nur froh, wenn sich der ganze Laden ein kleines Stück in seine Richtung bewegt. Ob die Grünen diese Frage jetzt diskutieren oder nicht, spielt aber praktisch keine Rolle mehr. Bei den Grünen wird die Debatte intern ohnehin nichts verändern. Die haben doch ganz andere Probleme. Die wissen doch gar nicht, was für eine Rolle sie in der neuen Bundesrepublik spielen wollen. Sie sind nicht in der Lage, die einzige Position, die sie jetzt interventionsfähig machen könnte, überhaupt zu formulieren. Etwa so: Die Bundesrepublik ist nicht das alte faschistische oder nationalistische Deutschland, sondern ein demokratischer Staat, den nicht zuletzt wir erfolgreich liberalisiert haben. Unser weltbürgerliches Denken in der Tradition der Aufklärung stellt uns heute als kritische Freunde an die Seite der USA und aller anderen friedliebenden Völker des Westens. Zu einer Weltinnenpolitik mit allen Konsequenzen, einschließlich der Weltpolizei, gibt es für uns Grüne keine Alternative mehr. Mit solch einer Position könnten die Grünen auch in der SPD etwas bewegen, aber davon sind sie meilenweit entfernt. Die fallen ja schon über Claudia Roth her.

Der niedersächsische grüne Landesminister Jürgen Trittin geißelt die Vorschläge zur Weltpolizei als aus dem Bauch heraus formulierte grüne Außenpolitik...

... Ach je! Trittin soll sich mit den Argumenten auseinandersetzen und sagen, wie eine europäische Außenpolitik jetzt zustande kommen kann. Das erwarte ich von einem grünen Minister, der für Europa zuständig ist. Da sagt der doch nichts zu. Interview: Walter Jakobs

langjähriger Mitarbeiter der Grünen-Bundestagsfraktion; Vordenker der Gruppe Aufbruch