Die Demokratiebewegung von Bangkok ist fern

■ Am Sonntag finden in Thailand Parlamentswahlen statt/ Der arme Nordosten stellt über ein Drittel der Abgeordneten/ Zusätzliche Einnahmequelle für Dorfbevölkerung/ Dorfvorsteher verteilt Geld der Kandidaten und gibt Stimmen gesammelt ab

Bangkok (epd/taz) — „Willkommen in Baan Krasung Tai“, lächelt Chit Sirisuk. Sein Dorf liegt im Nordosten Thailands, eine achtstündige, 500 Kilometer lange Busfahrt von Bangkok entfernt — und 19 Kilometer Fußweg von der nächsten Straße. Seit neuestem gibt es sechs Mopeds im Dorf. Sie verbinden Krasung Tai mit der Welt, vorausgesetzt man kann sechs Baht, umgerechnet 40 Pfennige, für die staubige oder schlammige Höllenfahrt zahlen. Chit ist dies stets zu teuer.

Im Nordosten Thailands, Isarn genannt, liegt der Durchschnittsverdienst bei 12.000 Baht (800 Mark) im Jahr. Das ist ein Achtel dessen, was in der — an Slums nicht armen — Hauptstadt durchschnittlich verdient wird. So gibt es im Isarn weder die goldenen Tempel, noch das wundervolle Essen, noch den sagenhaften Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre, mit dem Thailand die Welt in Erstaunen versetzt hat.

Aber im Isarn leben 18 Millionen der 54 Millionen Thais. Hier wird mehr als ein Drittel der Abgeordneten für das Repräsentantenhaus gewählt. Vor allem im Isarn wird sich bei den am kommenden Sonntag stattfindenden Wahlen entscheiden, ob sich die pro-demokratischen Parteien erstmals gegen den traditionellen Klüngel aus Militär und Geldadel durchsetzen können.

Stimmenkauf

Die Frage ist, wieviele Wähler im Isarn sich auch diesmal ihre Stimme abkaufen lassen. Wie in vergangenen Zeiten sind auch in diesen Wochen wieder die Wahlhelfer der verschiedenen Kandidaten durch die Dörfer gezogen, haben den Dorfvorstehern Geld, Haushaltsgeräte oder Kleintransporter versprochen, wenn ihre Partei erfolgreich ist. Nach Ansicht von Beobachtern haben bei den vorigen Parlamentswahlen, die im März stattfanden, einige Politiker 10 bis 40 Millionen Baht ausgegeben.

Chit gehört nicht zu den wenigen „Einflußreichen“ in Krasung Tai. Ihm gehören, wie den meisten Bauern im 87-Familien-Dorf, rund 32 Hektar Boden. In Isarns langen, glühend heißen Sommern wird er zur aufgeplatzten Salzkrume. Chit hat keine Bewässerung für sein Land, er hat auch keinen Wasseranschluß für seine Hütte. Mit einer guten Jahresernte verdient Chits Familie etwa 18.000 Baht (1.200 Mark). Abzüglich der Kosten für Dünger und Schädlingsbekämpfung bleiben 15.000 Baht im Jahr. Das entspricht 1.250 Baht im Monat. Geteilt durch fünf, die durchschnittliche Familiengröße im Isarn, sind das monatlich 250 Baht pro Person (etwa 16 Mark) oder acht Baht am Tag.

Chits Reisernte in diesem Jahr sieht nicht gut aus. Im letzten Sommer gab es eine besonders harte Dürre. So werden Chit und viele seiner Nachbarn wohl früher als geplant nach Bangkok gehen müssen, um Arbeit als Tagelöhner zu finden. Chit träumt davon, „vielleicht diesmal einen gut bezahlten Bürojob zu bekommen“. Aber dann erinnert er sich, daß er nur die Grundschule besucht hat. Chit weiß, daß er in Bangkok kaum mehr als 150 Baht (zehn Mark) am Tag als Bauarbeiter verdienen wird. Die Ausbildung seiner Kinder hängt davon ab, wieviel Geld er nach Hause bringt. Der Grundschullehrer in Krasung Tai sagt, daß nur 40 Prozent der Dorfkinder darauf hoffen können, nach der sechsten Klasse auf die Mittelschule zu gehen.

Wenn Chit völlig pleite ist, kann er jederzeit zu seinem freundlichen Dorfvorsteher gehen. Muß er noch vor der Pflanzzeit im Juni oder Juli Geld leihen, wartet der Dorfvorsteher gerne bis Februar mit der Rückzahlung — vorausgesetzt, Chit gibt ihm dann einen Sack Reis pro 100 geliehenen Baht. Der normale Preis für einen Sack Reis ist 300 Baht.

Um der rauhen Wirklichkeit manchmal zu entfliehen, hat Chit sich in Schulden gestürzt und einen Schwarz-Weiß-Fernseher gekauft. Im Dorf gibt es 20 Schwarz-Weiß- Apparate und drei Farbfernseher. Alle sind auf Kredit gekauft, zu 300 Prozent Zinsen. Abends sitzen die Bauern von Krasung Tai zusammen und sehen fern. Jetzt, kurz vor den Wahlen, laufen auf der Mattscheibe die Anti-Korruptions-Spots der Demokratiebewegung. Sie erzählen, wie schädlich für das ganze Land der weit verbreitete Stimmenkauf ist. „Damit verkaufst du deine Seele und dein Land“, sagen sie.

Doch auch die Poll-Watch Organisation, die sich zur Wahlbeobachtung gebildet hat, weiß, daß diese Kampagne nur bedingt erfolgreich sein kann. Ihr Mitglied Dr. Phusit Prakong: „Für die Bauern im Nordosten des Landes zählen nicht demokratische Floskeln von Politikern im fernen Bangkok, die sie nicht kennen. Sie favorisieren lokale,ihnen vertraute Persönlichkeiten, denen sie zum beispiel die neue Straße verdanken oder den Neubau des Tempels.“

Bislang haben Chit und seine Frau — verteilt vom Dorfvorsteher — je 50 Baht von jedem der drei Kandidaten im Bezirk bekommen. Zusammen macht das die Familie um 20 Mark reicher. Chit sagt, zuerst habe er das Geld nicht annehmen wollen. „Ich lasse mir nichts schenken.“ Aber dann hat er ausgerechnet, daß es für eine Woche Essen reicht. Und ihm fiel ein, daß der Dorfvorsteher bei einer Weigerung das nächste Mal, wenn Chit sich Geld leihen muß, vielleicht nicht mehr so freundlich sein würde.

Am Sonntag wird in Thailand gewählt. Für wen wird Chit stimmen? Er weiß es nicht. Normalerweise gibt der Dorfvorsteher alle Stimmen aus Krasung Tai geschlossen für einen der Kandidaten ab. Karin Deckenbach/ps