Erklärungsnotstand treibt bizarre Blüten

■ Der Rostocker Staatsschutz wollte dem Fernsehen die Schuld für die Ausschreitungen in die Schuhe schieben

Berlin (taz) — Die Rostocker Polizei, die nach den Ausschreitungen gegen das Asylwohnheim Lichtenhagen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist, treibt Ursachenforschung eigentümlicher Art: Die Staatsschutzabteilung prüft, ob die Krawalle vor drei Wochen möglicherweise durch die Anwesenheit eines ZDF-Teams inszeniert worden sein könnten.

Wie der Ausländerbeauftragte der Stadt, Wolfgang Richter, gegenüber der taz erklärte, wurde er von Angehörigen der Staatsschutzbehörde dahingehend befragt, ob ein im Wohnheim anwesendes Team des Fernsehmagazins „Kennzeichen D“ die Krawalle inszeniert, nachgestellt oder den vietnamesischen Bewohnern des belagerten Hauses womöglich sogar Geld für Aufnahmen gezahlt hätte. Der Leiter der Sendung, Joachim Jauer, hat diese Unterstellungen bereits letzte Woche als völlig unbegründet zurückgewiesen.

Rostocks Oberstaatsanwalt Slotty dementierte am Donnerstag auf Anfrage, daß Ermittlungen gegen das ZDF geführt werden. Nach seinen Angaben liegt weder eine Anzeige vor noch werde bei der Polizei oder bei seiner Behörde ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen die Fernsehmitarbeiter geführt. Die Angaben des Ausländerbeauftragten bestätigte er allerdings insoweit, als er einräumte, daß Richter zu dem Auftreten der Fersehleute befragt wurde. Die Staatsschützer hätten mit ihrer Fragestellung aber keinesfalls beabsichtigt, einen derartigen Verdacht gegen die Fernsehleute zu verfolgen — es sei lediglich routinemäßig „das Umfeld abgefragt“ worden.

Die Untersuchungen des Staatsschutzes gelten den Angaben des ZDF zufolge dem Fernsehteam, das am 24.August zusammen mit mehr als hundert AusländerInnen in dem brennenden Asylbewerberheim in Lichtenhagen eingeschlossen war und darüber in „Kennzeichen D“ berichtet hatte. Die Reportage zeigte in bedrückenden Bildern, daß Menschenleben in Gefahr gerieten, weil der polizeiliche Schutz über eine Stunde lang unterblieb.

Der Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter war zusammen mit dem Fernsehteam und den Ausländern in dem Haus eingeschlossen. Er wurde später vom Staatsschutz zwei Stunden lang befragt. Ihm wurden, wie er erklärte, dabei „eigenartige Fragen gestellt“. Unter anderem wollten die Staatsschützer wissen, ob die Anwesenheit der Kameraleute die Überfälle auf das Wohnheim hätte „provozieren“ können. Geradezu pervers sei die Frage gewesen, ob das Fernsehteam die Vörfälle hätte nachstellen lassen. Eine absurde Unterstellung, „als ob ich meine Betroffenheit noch einmal hätte nachspielen können.“

Oberstaatsanwalt Slotty hängt das merkwürdige Vorgehen des Staatsschutzes derweil tief: „Herr Richter war wohl nicht sehr glücklich, daß solche Fragen gestellt wurden.“ wg