INTERVIEW
: „Man muß es auch selbst versuchen“

■ Günter Wallraff über Gründe der Fremdenfeindlichkeit und wie es anders geht

taz: Günter Wallraff, was außer hilfloser Wut empfindest du angesichts der Ereignisse in Rostock und deren Fortsetzung in der ganzen Republik? Seit „Ganz unten“ hast du viele ausländische Freunde. Was sagst du denen?

Wallraff: Es stimmt, ich habe viele Freundschaften mit Immigranten. Schon vor einiger Zeit habe ich eine Patenschaft für eine Roma-Familie übernommen. Ich hatte anfangs auch Berührungsängste, aber ich muß sagen: Das läuft ideal.

Sie wohnen in meinem Haus in der Nähe von Köln bis sie eine Stadtwohnung gefunden haben. Dadurch konnte die Familie vor einer Ausweisung zurück nach Jugoslawien bewahrt werden. Das ist zu einer wirklichen Freundschaft geworden. Sicher, es gibt auch andere Fälle, klar, aber man muß es doch erst einmal versuchen, muß es auch persönlich versuchen. An solchen Punkten muß es anfangen.

In NRW gab es vor einigen Jahren eine Initiative der Landesregierung; sie hat gut hundert Familien außerhalb des Asylrechts eine Aufenthaltsduldung gegeben. 85 Prozent dieser Familien beziehen keine Sozialhilfe mehr, sind also erfolgreich integriert. Darüber spricht aber keiner. Geredet wird nur über Probleme, die ja da sind, aber an denen doch die Ausländer nicht schuld sind.

Durch die Ausverkaufstrategie der Treuhand verelenden die Menschen in vielen Gebieten ohne eine Zukunftsperspektive. Wenn es nach Ursache und Wirkung ginge, müßten heute Massendemonstrationen vor den Banken stattfinden. Die Banken plündern die Kleinsparer aus (nur 2—3 Prozent Sparbuchzinsen, aber fast 20 Prozent bei Kontoüberziehungen), nur da traut sich keiner ran. Statt dessen geht es gegen die Allerschwächsten, die jetzt als Bedrohungspopanz aufgebaut werden.

Die Asylsuchenden werden ja als Sündenböcke den Leuten auf dem silbernen Tablett präsentiert.

Unsere Politiker haben bis auf wenige Ausnahmen kaum ein menschliches Gefühl gezeigt. Statt dessen reden alle allein von einer Grundgesetzänderung. Man beugt sich nicht nur dem sogenannten gesunden Volksempfinden, sondern man benutzt es — oder aber die SPD unterwirft sich in der Hoffnung, daß sie dadurch wahltaktisch besser abschneidet.

Vielleicht gibt es ja noch eine große Debatte innerhalb der SPD. Es wäre ja schon ein Gewinn, wenn wenigstens einmal unüberhörbar gesagt würde, daß nun nicht gerade die Asylbewerber am Elend im Osten schuld sind.

Es ist ja tatsächlich so, daß Fremdenfeindlichkeit nicht unbedingt der Fremden bedarf. Nach Umfragen gab es schon vor einem Jahr in der ehemaligen DDR eine weitverbreitete Türkenfeindlichkeit, obwohl dort ja kaum Türken leben. Fremdenhass als Ausdruck der eigenen Identitätskrise, unter anderem wurde er aber wohl mitverursacht durch die Reisebeschränkungen. Der Internationalismus war dagegen doch wohl mehr etwas Abverlangtes als selbst Gelebtes. Deshalb zünden ja auch jetzt die rechten Parolen.

Dazu kommt eben auch die schlimme Reaktion der Politik. Ich vermisse die Politiker, die spontan nach Rostock gereist sind, um sich als Schutzschild dazwischenzustellen. Selbst die Regionalen waren doch erst einmal gar nicht vor Ort.

Mecklenburgs Innenminister Kupfer ist ja immer noch der Meinung, es sei ja gar nichts passiert.

Es scheint, als müsse es erst ein Massaker geben, bevor die Leute wirklich aufgerüttelt werden. Bei manchen Fernsehbildern fühle ich mich an Szenen der Reichspogromnacht erinnert, wo die Feuerwehr ja auch nur die umliegenden Häuser gelöscht hat — als wenn jemand gesagt hätte, laßt das mal laufen, da tobt sich der Volkszorn aus, das erledigt sich schon von alleine. Interview: Jürgen Gottschlich