Nachrichten aus dem anderen Deutschland
: Es geht auch anders

■ Eine Berliner Kirchengemeinde nimmt trotz Konflikten in den eigenen Reihen seit Jahren Flüchtlinge auf/ Grüne planen Großdemo zum 3. Oktober/ EKD wackelt beim Asyl

Eine „komische gegenläufige Entwicklung“ nimmt der 33jährige Pfarrer Peter Storck in seiner evangelischen St. Jacobi Gemeinde in Kreuzberg wahr. Auf der einen Seite sieht er die „enorme Hilfswilligkeit“ der Gemeindemitglieder gegenüber zwei bosnischen Familien, die am 30. Juli in den Gemeinderäumen aufgenommen worden sind: „Tagtäglich kommen Kleider- und Sachspenden, und wir können die Familie größtenteils durch Spenden finanzieren.“ Auf der anderen Seite muß Storck sich in seiner rund 4.500 Köpfe zählenden Gemeinde immer wieder „erhebliche Vorurteile“ gegen AusländerInnen und Flüchtlinge anhören, eben jene aggressiven Klischees, die den Nährboden der gegenwärtigen Pogrome darstellen.

Diese Mischung dürfte keineswegs untypisch sein für den gegenwärtigen Seelenzustand der Nation, die der bisher größten Welle der Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen die bisher größte Welle der Gewalt folgen ließ. Eine bündige Erklärung für dieses seltsame Phänomen kann der sozial engagierte Pfarrer auch nicht bieten. „Vielleicht hat das mit der Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte zu tun“, überlegt er. „Dadurch, daß im Fernsehen unkommentiert rechtsradikale Äußerungen gesendet werden, findet eine Enttabuisierung statt, Pöbeleien gegenüber Ausländern werden in der Öffentlichkeit toleriert. Diese Enttabuisierung droht die Grundlagen unseres Zusammenlebens zu zerstören. Andererseits treten dem auch mehr Leute entschieden entgegen.“ Der seit Ende 1988 in Kreuzberg arbeitende Pastor erwähnt es nicht, aber es liegt auf der Hand: Jedenfalls dann, wenn jemand mit gutem Beispiel vorangeht. So wie Pfarrer Storck und die anderen engagierten ChristInnen aus verschiedenen evangelischen und katholischen Kirchengemeinden, die sich seit 1984 zum Berliner „Arbeitskreis Asyl in der Kirche“ zusammengeschlossen haben.

Dem vorausgegangen war eine kirchliche Hilfsaktion gegenüber libanesischen Flüchtlingen, die der Westberliner Senat im Jahre 1978 abschieben wollte — zurück in den Bürgerkrieg. Seit dieser Zeit ist es gute Tradition, daß Bedrohte immer wieder Unterschlupf in diversen Gemeinden finden konnten. Zum Beispiel jene Menschen, die zuerst aus ihrer Heimat und dann durch die Pogrome von Hoyerswerda vertrieben wurden. Oder die ersten jugoslawischen Flüchtlinge: 1990 beherbergte Pfarrer Storck eine Roma-Familie in den ziegelsteinernen Kirchenräumen. Kürzlich sprach ihn ein Mann an: „Was ist denn aus den Zigeunern geworden?“ „Sie haben nun eine Aufenthaltsgenehmigung, und der Mann hat Arbeit gefunden“, antwortete der Pastor. „Wenn Sie mehr wissen wollen, können Sie sie sonntags im Gottesdienst treffen.“

Integration findet aber auch in einem anderen Sinne statt: Der „Arbeitskreis“ erfreut sich inzwischen eines regen Zulaufs aus Ostberliner Gemeinden. Gemeinsam empören sich ChristInnen aus Ost und West über den „schikanösen Visumszwang“ für die bosnischen Kriegsflüchtlinge. Und gehen zur Tat über: Ende Juli holten sie 27 Menschen nach Berlin, die an der bürokratisch vernagelten deutschen Grenze gescheitert waren, und brachten sie in fünf Gemeinden unter. Weitere 143 BosnierInnen, für die der „Arbeitskreis“ und das Diakonische Werk Unterkünfte besorgt hatten, sollten folgen. Doch was ist schon ein Völkermord gegen die Probleme der deutschen Krankenkassen: Weil keine sie vorschriftsmäßig versichern wollte, strandeten die Leute in einem Ferienheim im tschechischen Krupka. Zwar konnten 20 von ihnen über eine kirchliche Eigenversicherung mittlerweile einen legalen Status erlangen und hierherkommen, zwar gelangten weitere 27 illegal nach Berlin, doch rund hundert müssen weiter in Krupka verschimmeln.

Bei einem Gespräch mit Vertretern der Berlin-Brandenburger Kirche und des Diakonischen Werks sowie der Rechtsanwältin Elisabeth Reese vom „Arbeitskreis" vor gut einer Woche stellte sich Berlins Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) stur: Wenn in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg das Krankenversicherungsproblem anders geregelt werde, dann sei das Sache der Länder. Aber in Berlin, das so von Bundesmitteln abhängig sei, müsse man sich strikt an die Bonner Linie halten.

Peter Storck ist dennoch weit entfernt von Resignation. Im Neubaugebiet um seine Kirche siedelt keineswegs die alternativ eingefärbte Kreuzberger Mischung, sondern hier wohnen alte Leute, kinderreiche Familien und Arbeiter — also Menschen, die durchaus Grund zur Angst vor sozialem Abstieg haben und damit potentielle AusländerhasserInnen sind. Und dennoch, sagt er, gibt es in seiner „ganz normalen Gemeinde“ so viele „stille Heilige, die ohne viele Worte praktische Nachbarschaftshilfe leisten. Es existiert viel mehr Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen, als die Politiker der Bevölkerung zutrauen“. Ute Scheub

Aktionen gegen Rechts:

Offenburg: Samstag, 11 Uhr, ab Rathaus: Demo gegen Rassismus

Bad Salzuflen: Samstag, 8.30-12.30 Uhr, vor Hotel Maritim, Demo gegen Tagung der SPD zur Ausländerpolitik

Moers: Samstag, 15 Uhr, Eupener Platz, Internationales Bürgerfest

Berlin: Sonntag, 11-18 Uhr, Marx- Engels-Platz, Tag der Erinnerung und Begegnung.

Weitere Termine nimmt das taz- Demo-Telefon entgegen: 030/25902-292 oder -245

Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Land, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. 3. Mose 19, 33-34 (gesehen im Aushangkasten der St. Jacobi Gemeinde)