Fahrradhelme sind überflüssig

■ Auch gut trainierte und styroporbehütete Weichziele haben gegen automobile Gewalt keine Chance

haben gegen automobile Gewalt keine Chance

Die Fahrradbranche erlebt in diesem Sommer einen absoluten Nachfrageboom. Auch die Zubehörindustrie reibt sich die Hände. Der Renner: die Sicherheits-Packages. Ein ganzer Glitzerwald von Vor-, Seit- und Rückstrahlern (damit hätte James Cook noch halb Polynesien kaufen können), Leuchtbänder und, vor allem natürlich, schweißtreibendes, formgegegossenes Styropor. Fahrradhelme sind total in. Eltern trimmen ihre Kids aids-kampagnen-mäßig auf ein „Niemals ohne!“ und auch der Fahrradmacho verlangt von seiner Freundin: „Ohne Helm steigst Du mir da nicht mehr drauf!“

Damit nicht genug. Breitschultrige Gestalten in solidem grünen Beamtenzwirn machen überall Hamburgs Grundschulen verkehrssicher. „Unser Verkehrspolizist Werner“, so schwärmte mein Sohn seit seiner ersten Grundschulklasse, „ist prima“. Der 68er-geschädigte Vater vermutete zunächst eine raffiniert getarnte Pro-Bullen- Kampagne, mußte vor dem netten Werner aber die Klischee-Waffen strecken. Jetzt hat Junior, inzwischen Viertkläßler, mit seinem sicherheitsglitzernden Rad („Papa, hab ich jetzt auch wirklich alles dran?“!) eine schriftliche Prüfung und einen Test in der realen Stra-

1ßenwelt hinter sich. Mein Gott! 550 Meter auf echtem Autoasphalt! Mit Hand-Raus-Strecken und so. Natürlich mußten die Eltern schriftlich ihre Zustimmung geben. Sohnemann war vorher schon ganz aufgeregt, ging am Vortag die Strecke mit einigen Kameraden zu Fuß ab. „Verkehrserziehung ist überlebensnotwendig“, so resümierte zufrieden die taz.

Ein billiger, aber erfolgreicher Trick, die Nicht-Autofahrer als blöd hinzustellen: Sie sind blöd, wenn sie keine Fahrradhelme tragen (wo bleibt der Fußgängerhelm?!), sie sind doof, wenn sie auf den Bus warten und dann noch 2,20 Mark dafür zahlen, sie sind dämlich, wenn sie nicht von Kinderladen an Überlebenstraining Marke Verkehrserziehung machen. Kurz: Wer nicht Auto fährt, ist selbst dran schuld.

Die Blutzoll-Wirklichkeit im Straßenverkehr lehrt das Gegenteil. Noch immer leben Fußgänger und Radfahrer sicherer als Autofahrer. Auch Kinder. Als Beifahrer im Auto sind sie erheblich stärker gefährdet als beim Sprung in den Fahrradsattel. Wer sein Kind schützen will, der sollte es nicht mit dem Auto zur Schule bringen. Die Erfahrung lehrt, daß elterliche Chauffeure die größte Gefahr für

1andere Kinder darstellen. Ist die eigene Brut erstmal abgeliefert, wird aufs Gaspedal gedrückt.

Und die passive Sicherheit? Natürlich schützen Helme Köpfe, wie Formel-1-Piloten, Motorradfahrer und Ralleyfahrer professionell vorleben. So würde die Helmpflicht für Kinder im Auto, ebenso wie eine Helmpflicht für alle Autofahrer, den Blutzoll im Straßenverkehr weit mehr absenken, als eine allgemeine Helmpflicht für Fußgänger und Radler. Eltern, welche die Sicherheit ihrer radelnden Kinder tatsächlich erhöhen wollen, sollten zunächst auf gute Fahrradqualität (Bremsen, Reifen, sichere Steuerung, angemessene Rahmengröße) und Leuchtfarben setzen, bevor sie 76,95 Mark für einen Helm abdrücken. So erhöht ein Helm in Leuchtfarbe die Sicherheit vor allem wegen der Farbe, weit weniger des Styropors wegen.

Das ganze Getue mit der Ver-

1kehrserziehung und die hunderte von Millionen Mark teure Defensiv- Ausrüstung im boomenden Fahrradmarkt — ein böser Veiztanz der Weichziele, aufgeführt zur Belustigung der Autoindustrie, ein gefährliches Valium für weiche Verkehrs„teilnehmer“, welches die absurde Ideologie verträufelt, man habe alls für die Sicherheit getan. Hat man eben nicht.

Verkehrserziehung in Schulräumen, Schulhöfen und alle vier Jahre mal ein paar hundert Meter auf der Straße, kann man, das geben Verkehrssicherheitsexperten heute selbst zu, völlig vergessen. Gelernt wird von Kindern nur nach Vorbild und in der Realität — frühes gemeinsames Fahrradfahren mit Eltern im Straßenverkehr. Eltern, die selbst fahrradfahren und, noch sicherheitsfördernder, ganz früh die Benutzung des ÖPNV als selbstverständliche Fortbewegungsart einüben — die tun etwas für die Si-

1cherheit ihrer und anderer Knirpse und Menschen. Auch dies kratzt nur an den Symptomen. Weder können Erwachsene eine tonnenschwere, mit Explosivstoffen gefüllte Maschine oberhalb von 25 km/h sicher kontrollieren, noch Kinder ein wirkungsvolles Sicherheitsradarsystem gegen diese Metallgeschosse antrainiert bekommen.

Denn, so die naturgesetzliche Unfallwahrheit: Geschwindigkeit und Masse sind die entscheidenden Blutzollparameter. Konsequente, flächendecke Verkehrsberuhigung, Menschen, die einen Verkehrsalltag ohne Auto entdecken — so rückt sicherer Verkehr näher. Das ist niederländische Delft die straßenunfallärmste Stadt Europas. Sie hat nicht etwa die dicksten Helme und die besten VerkehrserzieherInnen, sondern fast ausschließlich Straßen, in denen die Fahrräder dominieren. Florian Marten