Der Sinn folgt den Effekten

■ Frenetischer Jubel bei "Der Blaue Engel" im Schauspielhaus / Ute Lemper überraschte durch ungewohnte Qualitäten

im Schauspielhaus

Ute Lemper überraschte durch ungewohnte Qualitäten

Es gehört sicherlich einiger Mut dazu, eine Produktion, die als „Flop des Jahres“ tituliert wurde und mit dem „Lemper-Problem“ belastet schien, für zwanzig Vorstellung ins größte Theater der Stadt zu holen. Doch wer erwartet hatte, das Schauspielhaus von Schadenfreudlingen erfüllt zu sehen, die in nervöser Häme die Polstersessel zerkratzen, erlebte eine wunderliche Wendung. Zwanzig Vorhänge, stehende Ovationen und nicht enden wollende Bravos zeichneten das baße Erstaunen in die Gesichter des Ensembles. Nach dem fünfzehnten Vorhang schien sogar Ute Lempers Gottvertrauen zurückzukehren, und so wagte sie sich zögerlich alleine an den Bühnenrand und nahm erschrocken den frenetischen Applaus entgegen.

Worin immer diese freiwillige Seelenmassage begründet gewesen sein mochte, an der Aufführung selbst konnte es eigentlich nicht gelegen haben. Das Gemeinschaftswerk von Peter Zadek und Jérôme Savary lieferte zwar nicht das Desaster, das man nach dem Verriß der Berliner Uraufführung erwartet hatte. Überzeugende Unterhaltung ergab sich aus dem netten Bilderbogen allerdings trotzdem nicht.

Insbesondere dort, wo Savary Hand anlegte, walzte der Aufmarsch schriller Klischee-Figuren alles an Geist nieder, was auch in der völlig entkernten Bühnen-Version von Tankred Dorst noch enthalten gewesen sein mochte. Mit Heinrich Manns sensibler Schilderung von Stolz und Selbstaufgabe des Professors Unrat, hatte dieser Blaue Engel eh nichts zu tun.

Schmerzlich vermißte man in der Handlungführung, die in einem Sperrfeuer aufwendiger Kulissen abrollte, eine schlüssige Entwicklung der Charaktere. Diverse erzählerische Ungereimtheiten, die sich einem nur aus der Kenntnis von Film oder Buch erschließen konnten, rundeten den Eindruck ab, der Sinn habe hier den Effekten zu folgen.

Lediglich zwei Darsteller durchbrachen die kreischende Monotonie des Plakativen: Martin Wuttke als Schüler Lohmann und: Ute Lemper! Vielleicht ist ihr Leidensdruck inzwischen groß genug, daß sie sich wieder auf gewisse darstellerische Tugenden besinnt - auf jeden Fall gab sie der Lola Fröhlich in einer Umgebung von nett anzusehenden Unpersönlichkeiten Herz und Profil. Lediglich ihre Lacher wirkten noch immer so aufgesetzt,

wie sonst die ganze Person. Dagegen gelang es Ulrich Wildgruber nie, dem inneren Kampf sich widersprechender Elemente einen schlüssigen Ausdruck zu verleihen. Er poltert in typisch wildgruberscher Manier durch das Stück, als ginge es darum, den Weg aus der Kneipe nach Hause zu finden.

So bleibt Der Blaue Engel ein harmloses Vergnügen für Leute ohne Kitsch-Empfinden. Till Briegleb