Der balzende Minister und die Schauspielerin Von Ralf Sotscheck

Die Engländer sind ein Volk von Spannern. Nachdem die Boulevardblätter die königliche Familie bis auf die Knochen ausgelutscht haben, sind nun die Parlamentarier an der Reihe, allen voran David Mellor. Der Minister für kulturelles Erbe hat sich in seinem Privatleben nämlich mit eher Zeitgenössischem beschäftigt. Genauer gesagt: mit der 30jährigen spanischen Schauspielerin Antonia de Sancha, deren größter Filmauftritt die Rolle einer beinamputierten Prostituierten war, die es mit einem Pizzalieferanten treibt. Behauptet der Daily Mirror. Und er weiß noch mehr: „Es geschah mitten in der Nacht. David Mellor kroch in ihr Schlafzimmer und begann, Shakespeare zu rezitieren. Sein blasses, nacktes Fleisch glühte im Kerzenschimmer.“

Die skandalgestählten LeserInnen erfahren, daß der nationale Erbschaftsverwalter gleich in der ersten Nacht vier verschiedene Stellungen ausprobiert hat und danach von de Sancha über's Knie gelegt wurde. Am liebsten sprang Mellor im Trikot des FC Chelsea zur Schauspielerin ins Bett. Die Sun, deren LeserInnen über keinerlei Phantasie verfügen, präsentierte den Minister auf der Titelseite per Fotomontage im Chelsea-Outfit — mit Shorts allerdings, denn bei Schlägen unter die Gürtellinie reicht selbst die Vorstellungskraft der Sun-Leserschar. Nun sind auch noch Tonbänder aufgetaucht: Nachrichten, die der — verheiratete — Minister grob fahrlässig auf dem Anrufbeantworter seiner Freundin hinterlassen hat. Diese sammelte alles und spielte das unbeholfene Balzgeplapper ihren Freunden vor, die sich vor Vergnügen auf dem Boden wälzten — und alles brühwarm der Presse erzählten. In England, so scheint es, wimmelt es von falschen Freunden, die nur auf eine Gelegenheit warten, irgend jemandem ein Messer in den Rücken zu jagen. Darüber hinaus tauchen merkwürdigerweise bei jedem Skandal Tonbandmitschnitte von Privatgesprächen auf — sei es bei „Dianagate“, beim Milliardenschwindler Robert Maxwell oder jetzt beim obersten Traditionspfleger Mellor. Offenbar ist die Hälfte der Bevölkerung damit beschäftigt, die andere Hälfte auszuspionieren.

Der Versuch, nach französischem Vorbild ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre einzuführen, stieß auf erbitterten Widerstand. Wortführer der Spanner war ausgerechnet David Mellor. Vermutlich ohrfeigt er sich jetzt dafür zweimal täglich, denn die lächerliche Affaire kann ihn seine Tory-Karriere kosten. Die Daily Mail hat in der vergangenen Woche behauptet, daß Mellors Freund, der Bauunternehmer Elliott Bernerd, dem Minister während des Wahlkampfes nicht nur seinen Mercedes, sondern auch seine Wohnung „als Liebesnest“ überlassen habe. Im Gegenzug soll Mellor ein millionenschweres Bauprojekt zwischen Bernerd und dem Vorsitzenden des FC Chelsea, Ken Bates, vermittelt haben. Hat er dafür das Chelsea-Trikot erhalten?

Noch hält Premierminister John Major seine schützende Hand über den Traditionspfleger, doch am Wochenende ist der unscheinbare Regierungschef selbst zum Objekt der Boulevardblattbegierde geworden: Seine enge politische Vertraute, Sunday Express-Chefin Eve Pollard, hat Prinzessin Anne als Lügnerin bezeichnet, weil diese bestreitet, ihre beiden Schwägerinnen Diana und Fergie „alberne Gänse“ genannt zu haben. Die Queen zitierte Major am Samstag deshalb zu sich. Oder sollten die beiden etwa...