: Das Baby auf der Brust des Mannes
Von den Vorteilen der japanischen Kunst, Kinder nicht auf vier Rädern zu transportieren ■ Aus Tokio Georg Blume
Das Tragetuch für Babys ist in Japan nicht weit verbreitet. Erstaunlicherweise, denn Mütter und Väter tragen ihre Kinder meistens am Körper. Dagegen sind die Tragegürtel aus den Kaufhäusern ganz groß in Mode. Dabei wird das Kind, durch ein Bänderkreuz meistens direkt vor der Brust gehalten. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich im größeren Sicherheitsgefühl beim Transport in den vollgepropften Bussen und Bahnen. Früher nämlich trugen die Japaner ihr Kind auf dem Rücken.
„Onbuhimo“ hieß einst der wunderschöne Tuchgürtel, der Mutter und Kind jahrhundertelang zwischen Mantel und Kimono zusammenband. Der besondere Reiz des Onbuhimo war, daß er sich vorne unter den Brüsten der Frau so kreuzte, daß er diese besonders betonte. Das brachte zunächst die Frauenbewegung gegen den bewährten Gürtel auf. Inzwischen aber hat gerade diese ihn wiederentdeckt: „Mein erstes Kind habe ich noch vor der Brust getragen“, berichtet Yukako, unsere feministisch engagierte Freundin, „fürs zweite aber habe ich auf den Onbuhimo zurückgegriffen. Denn mit dem Kind auf dem Rücken fühle ich mich viel freier.“ Kinderarzt Taneki Mouri tut das Vor-der-Brust-Tragen gar als westlichen Einfluß ab: „Man darf den Onbuhimo nicht aufgeben“, meint er.
Angenehm ist, daß bei diesen Diskussionen die lästige Frage des Für und Wider eines Kinderwagens nur selten auftaucht. Für die Japaner scheint immer noch unumstritten zu sein, daß ein Baby eben nicht zwischen vier Räder gehört, sondern nur auf den vier Beinen seiner Eltern transportiert werden sollte.
Barbara Sichtermann hatte vor zehn Jahren sogar ein ganzes Buch geschrieben, um auch den Deutschen den Kinderwagen auszureden. Ihre These: Nur durch das „Körpertragen“ würde „das mächtigste Bedürfnis eines jungen Säuglings, das Bedürfnis nach Geborgenheit am Erwachsenenkörper“ gestillt. In Japan hat vermutlich noch niemand so grundsätzlich über diese Fragen nachgedacht, wenngleich es gerade in der Auto-Nation erstaunen muß, daß man für die Babys nicht längst eigene Transportmittel erfunden hat. Doch die männliche Liebe für alles, was fährt, reicht hier offenbar nicht bis zum Kind.
Vielleicht liegt es aber auch daran, daß der Spaziergang mit einem Baby im Tragegürtel vor allem für Japans Väter eine ganz neue Welt eröffnet. Da es in diesem Land nach wie vor unüblich ist, Männern mit ihren Kindern allein zu begegnen, nimmt die Umgebung von ihm zunächst keine Notiz und ganz automatisch zuerst Kontakt mit dem Kind auf. Ein Babylachen reicht meist aus, um ins Gespräch zu kommen. Auch mir gelang es so zum ersten Mal, mit den Hausfrauen unserer Nachbarschaft zu reden. Diese waren bisher allen Kontaktversuchen ausgewichen.
Die meisten dieser Frauen führen ein eintöniges Leben. Oft sind sie den ganzen Tag allein mit ihren Kindern und warten darauf, daß ihr Mann spät abends vom Kollegentreff nach Hause kommt. Einige lassen sich dennoch nicht unterkriegen. Sie nehmen an Frauentreffen teil, organisieren eine lokale Verbrauchergenossenschaft oder mischen sich gar in die Politik. Bei meinem letzten Spaziergang erfuhr ich, daß das Kreisparlament unseres Stadtteils Koganei über den höchsten Frauenanteil in ganz Japan verfügt: 20 Prozent.
Fast alle Parlamentarierinnen wurden mit Unterstützung aktiver Frauengruppen gewählt. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum es gerade in Koganei ein für japanische Verhältnisse breites Angebot an Kindergärten und Kindertagesstätten gibt. Wobei die Auswahlmöglichkeiten zwecks Kindesbetreuung für berufstätige Eltern allgemein besser sind als in Deutschland. Der japanische Staat, dessen Sozialleistungen sonst ausgesprochen dürftig sind, legt nämlich auf die Kindeserziehung großen Wert. Mit einigem disziplinarischen Erfolg, wie man weiß — den es aber in den Kindertagesstätten Gott sei Dank noch nicht zu fürchten gilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen