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Kritischer Polizist vor dem Kadi

■ Dirk Geitebrügge hatte versucht, die Amokfahrt eines Rechtsradikalen in Wuppertal zu stoppen

Wuppertal (taz) — Reifen quietschen, Menschen springen beiseite, Geschrei. Plötzlich steht das Auto. Ein junger Mann springt auf den Wagen zu, reißt die Fahrertür auf und versucht, den Motor abzustellen. Die gefährliche Fahrt des Otto Bönnemann ist vorbei. Für Dirk Geitebrügge endet der couragierte Einsatz mit der Festnahme. Bereitschaftspolizisten schlagen mit dem Knüppel auf ihn ein. Er wird auf die Wuppertaler Polizeiwache verfrachtet und dort vier Stunden lang festgehalten. Die Räumlichkeiten sind dem Festgenommenen gut bekannt: Genau in dieser Wache hat der 34jährige jahrelang gedient. Die Bereitschaftspolizisten, die am 26. 4. 1990 an der Wuppertaler Stadthalle zugriffen, setzten einen Kollegen fest.

An diesem Tag wurde in Wuppertal gegen eine Veranstaltung der rechtsradikalen „Republikaner“ demonstriert. Geitebrügge, Mitglied der „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten“, nahm daran in Zivil als Demonstrant teil. Als er den Wagen des „Republikaners“ Otto Bönnemann in gefährlicher Fahrt sah, griff er ein, weil „ich eine eine weitere Amokfahrt verhindern wollte“.

Heute wird der Fall vor dem Wuppertaler Landgericht in zweiter Instanz verhandelt. Allerdings, nicht der „Amokfahrer“ steht vor Gericht, sondern der kritische Polizist — wegen Nötigung und Beleidigung. „Komm heraus, du Sau“, soll Geitebrügge dem Fahrer zugerufen haben. Der Angeklagte bestreitet das. Vor dem Schöffengericht gab es unterschiedliche Zeugenaussagen. Das Gericht verurteilte den Polizisten trotzdem zu einer Geldstrafe von 300 Mark — mit außergewöhnlicher Begründung. Richter Proebsting fühlte sich vor allem durch das öffentliche Interesse gestört: Wenn die Presse für den Angeklagten keine Schützenhilfe geleistet hätte, „hätte man sich möglicherweise auch anders unterhalten können...“

Inzwischen verlangt Otto Bönnemann von dem Polizisten auch noch Schadensersatz für sein durch Demonstranten zerdeppertes Auto. „Amokfahrer“ Bönnemann, damals noch Kreisvorsitzender der „Republikaner“ in Aachen, hat die Schönhuberpartei mittlerweile im Streit verlassen. Er gehört seit dem vergangenen Jahr dem Verein „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ an. In der Aachener Gewerbeschule erklärt der rechtsextreme Aktivist — unter den Augen des sozialdemokratischen Kultusministers — jungen Leuten die demokratische Gesellschaft. Der 54jährige Oberstudienrat Bönnemann unterrichtet Politik.

Dirk Geitebrügge mußte für seinen beherzten Einsatz unterdessen mit vorübergehender Suspendierung und Versetzung büßen. Bei seinen Wuppertaler Vorgesetzten stand er ohnehin auf der Abschußliste. Als junger Streifenpolizist hatte er sich darüber erregt, daß auf dem Lenkrad eines zivilen Polizeifahrzeuges ein Hakenkreuz prangte. Weil seine Vorgesetzten gegen diesen „Kinderkram“ nichts unternahmen, stellte er ganz offiziell eine „Strafanzeige wegen Verwendung nationalsozialistischer Symbole“. Doch auch die Staatsanwaltschaft sah keinen Ermittlungsgrund. Am 26. 4. 1990 gab es dann für die Wuppertaler Polizei Gelegenheit, zu zeigen, wie man mit „Nestbeschmutzern“ umgeht. Obgleich ihn jeder kannte, wurde der Delinquent erkennungsdienstlich behandelt. Den Grund verschwiegen die feinen Kollegen nicht: „Eine Vorsichtsmaßnahme, denn solche Leute wie du werden bei Demonstrationen immer wieder gewalttätig...“. Walter Jakobs

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