: SPD-Spitze einig für ihr Grundrecht auf Engholm
■ Rund zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder vollzogen am Samstag abend in Bad Salzuflen Parteichef Engholms Schwenk beim Asylrecht und bei deutschen UNO-Militäreinsätzen...
SPD-Spitze einig für ihr Grundrecht auf Engholm Rund zwei Drittel der SPD-Vorstandsmitglieder vollzogen am Samstag abend in Bad Salzuflen Parteichef Engholms Schwenk beim Asylrecht und bei deutschen UNO-Militäreinsätzen. Die Kursänderung, die auf einem Sonderparteitag im November bestätigt werden muß, ist vor allem ein Votum für den Kanzlerkandidaten Engholm.
Allgemeines Aufatmen in der Führungsetage der SPD. Der Parteivorstand, der am vergangenen Wochenende in Bad Salzuflen in Klausur gegangen war, folgte dem Vorsitzenden. Mit 31 gegen neun Stimmen verbuchte Björn Engholm in der strittigen Asylrechtsfrage eine klare Mehrheit. Die Vorständler schlossen sich auch dem Schwenk in punkto Bundeswehreinsatz an. Unter dem Dach der UNO sind für die SPD künftig Bundeswehreinsätze auch über Blauhelmmissionen denkbar. Es bleibt bei der Botschaft der Petersberger Empfehlungen, die Ende August überraschend von einem engeren Führungszirkel vorgelegt wurden: In diesen beiden Fragen signalisiert die Partei ihre Bereitschaft zu Verfassungsänderungen. Nachdem sich der Parteivorstand dem Petersberger Programm angeschlossen hat, kann als sehr wahrscheinlich gelten, daß sich Björn Engholm durchsetzt. Ende des Monats wird der Parteirat entscheiden. Am 16. und 17. November, so der Beschluß des Vorstands, wird in Bonn zum Sonderparteitag geladen. Den hatten nach Petersberg vor allem Kritiker des neuen Kurses verlangt. Diese Forderung hatte das Parteipräsium bereits aufgenommen.
Mit Sicherheit gehört diese Parteivorstandssitzung zu den lebhaftesten der letzten Zeit. In der langen Debatte um das Asylrecht wußte die engere Parteiführung um Engholm, Klose und Lafontaine nicht nur die empörten Jusos gegen sich — das war wohl einkalkuliert. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, Heidi Wieczorek-Zeul, ein Teil der Fraktion, der hessische Landesparteitag — das zusammen ergab eine Front, mit der wohl niemand gerechnet hatte.
Für Skeptiker zu wenig glaubhaft
Trotzdem war es für Engholm offenbar eine Nebenfrage, ob und wie er diese Kritiker wieder einbinden kann. Der Parteivorsitzende wollte sich in erster Linie durchsetzen, und die Befürchtung, die SPD könne im Falle der Nichtzustimmung ohne Kanzlerkandidaten dastehen, beeinflußte die Tagung nicht nur am Rande. Nach ausführlicher und heftiger Diskussion stand jedenfalls fest, daß neun Mitglieder auch der überformulierten Asylposition nicht zustimmen mochten — darunter Karin Junker (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen), die Jugendverantwortliche Ruth Winckler, Gerhard Schröder, die Südhessen-Vorsitzende Heidi Wieczorek-Zeul und auch der saarländische Lafontaine-Vertraute Reinhard Klimmt. Abweichend von den Nein-Voten ihrer Parteigliederungen stimmten übrigens der hessische Ministerpräsident Hans Eichel und die bayerische Landesvorsitzende Renate Schmidt.
Dabei hatte der Parteivorstand das Petersberger Papier beim Asylrecht nicht ganz unverändert gelassen. Zwar bleiben hinsichtlich des individuellen Asylverfahrens die gleichen Ausschlußgründe: Wer keine oder falsche Angaben zur Person macht, soll nicht in das Asylverfahren aufgenommen werden. Es bleibt auch bei den strittigen Listen von sogenannten Nichtverfolgerländern. Anders als in den Petersberger Empfehlungen heißt es jedoch ausdrücklich: „Unser Konzept für eine Gesamtregelung verstehen wir als Paket.“ Damit knüpft der Parteivorstand eine mögliche Einschränkung des Asylgrundrechts jedenfalls auf dem Papier wieder an Bedingungen: an eine Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge und Aussiedler, die doppelte Staatsbürgerschaft für lange hier lebende oder hier geborene Ausländer, schließlich an ein Zuwanderungskonzept. Aber der Beschluß schwächt die Bekenntnisse zur Wahrung des individuellen Rechts auf Asyl noch einmal ab. Beim Grundrecht „soll es bleiben“ — wie es mit Listen von Nichtverfolgerländern realisiert werden soll, bliebt weiter offen.
Für die Skeptiker war das alles offenbar zu wenig glaubhaft. Zudem hatte unmittelbar vor der Parteivorstandstagung Ministerpräsident Engholm in seinem Landtag einen gemeinsamen Beschluß auf den Weg gebracht. In Schleswig-Holstein forderten SPD und CDU den Bundesgesetzgeber gemeinsam zu einer Einschränkung des Asylrechts auf. Die Entscheidung, so Engholm, zeige die Konsensfähigkeit der großen Parteien und daß die Politik bereit sei, über ihren eigenen Schatten zu springen. Auf die Formulierung, daß das individuelle Asylrecht gewahrt bleiben müsse, hatte die SPD verzichtet, um den Kompromiß nicht zu gefährden. Diesen Weg sei er nicht leichten Herzens gegangen, meinte Engholm, aber „mit Moral alleine kann man die Realität nicht ändern“.
Linke Parteikritiker erwarten „Zerreißprobe“
Wieweit die neuen Positionen die erhoffte Befreiung aus der Selbstblockade sein werden, bleibt auch nach Salzuflen offen. Die CDU jedenfalls wird nachsetzen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Innenexperte der Union hält die Kurskorrektur nicht für weitgehend genug. Wie „ein alter, schwerfälliger Lastkahn“ korrigiere die SPD sich nur millimeterweise — auf jeden Fall zuwenig aus Sicht der Union. So ist eigentlich nur damit zu rechnen, daß in den Gesprächen der Fraktionen trotz Schwenk der SPD wenig geschehen wird.
Die linken Kritiker erwarten für den Sonderparteitag nach wie vor eine „Zerreißprobe“. Der Bundestagsabgeordnete Horst Peter sagte, das Recht auf Asyl sei kein „Vehikel für politische Befreiungsschläge und für die Vorbereitung auf große Koalitionen“. Mit Spannung wird der Landesparteitag der bremischen SPD erwartet. Während Regierungschef Klaus Wedemeier seit langem für eine Asylrechtsänderung wirbt, wird von den Delegierten eine skeptische Haltung erwartet.
Kritik aber auch aus dem anderen Lager. Horst Niggemeier, SPD- Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen, befand, es sei eine „entscheidungshemmende Fixierung“, wenn erst noch auf den Sonderparteitag gewartet werden müsse. Tissy Bruns, Bonn
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