Viertes Schwert des Marxismus

■ Abimael Guzman, alias „Präsident Gonzalo“, sieht sich als Nachfolger von Marx, Stalin und Mao

Berlin (taz) — „Die Revolution wird über einen Fluß kommen — es ist ein Fluß aus Blut.“ Derart unzweideutig beschreibt Abimael Guzman seine Vorstellung vom gesellschaftlichen Wandel in Peru. Den Fahrplan zur Revolution hat „Präsident Gonzalo“ — wie ihn seine AnhängerInnen in der Guerillaorganisation „Sendero Luminoso“ nennen — in mehrere militärisch bestimmte Etappen unterteilt. Am Ende dieses Volkskrieges soll die „Neue Macht“ den Staat wegfegen und die „Diktatur des Proletariats, der Bauern und der Kleinbourgeoisie“ errichten. Doch selbst dann will er nicht halt machen: Nach der Eroberung der peruanischen Küstenstädte — vor allem der verhaßten Hauptstadt Lima — steht als nächstes die „Weltrevolution“ auf Guzmans Programm. „Solange auf Erden Ausbeutung existiert, werden wir ihr mit revolutionärer Gewalt den Garaus machen“, heißt das in seiner martialischen Sprache.

Seit zwölf Jahren führt „Sendero Luminoso“ diesen Volkskrieg in Peru. Rund 25.000 Menschen sind dabei nach Schätzungen peruanischer Journalisten ums Leben gekommen. Die Opfer stammen nicht nur aus dem Militär und dem Regierungslager. Auch bei der indianischen Landbevölkerung, bei der peruanischen Linken und bei ausländischen Entwicklungshelfern untermauert „Sendero Luminoso“ seinen Machtanspruch mit — teilweise öffentlichen — „Hinrichtungen“. Die Guerilla ermordete weit über 60 Dorfbürgermeister — zahlreiche andere traten „freiwillig“ zurück, nachdem „Sendero Luminoso“ ihre Orte eingenommen hatte. Ganze Provinzen im Landesinneren, aber auch viele Slums aus dem Elendsgürtel von Lima stehen heute unter der Kontrolle der Guerilla. Mindestens 5.000 disziplinierte und gut geschulte Guerilleros operieren derzeit in der Mehrzahl der 24 peruanischen Departements, viele Tausende „ReservistInnen“ sind mobilisierbar. Finanziert wird der Volkskrieg vor allem mit Geldern aus dem Drogengeschäft. In „guten Jahren“ soll die Guerilla bis zu 50 Millionen Dollar an dem Kokainanbau verdienen.

Angefangen hat der Volkskrieg im Jahr 1980 in dem Andendorf Chuschi, in der Nähe einer der Amazonasquellen. Am 18. Mai — dem Tag der ersten Wahlen nach zwölfjähriger Militärdiktatur in Peru — tauchten dort Fremdlinge auf, nahmen die gefüllten Urnen und verbrannten sie. Dabei verkündeten sie einen „neuen bewaffneten Weg“ für Peru. Abimael Guzman, der 1934 geborene Philosoph und Jurist, hatte den ideologischen Unterbau geliefert. Er hatte Marx, Stalin und Mao ausgewertet und um die indianische Komponente erweitert. In Peru heißt er das „vierte Schwert des Marxismus“. Das Elend der UreinwohnerInnen seines Landes stellte er in den Mittelpunkt. Ein peruanischer Dichter und Marxist der zwanziger Jahre, José Carlos Mariategui, wies ihm den Weg zum bewaffneten Kampf. Auf Mariateguis „leuchtendem Pfad“ (Sendero Luminoso) sollten die Guerilleros wandeln.

Seit 1963 hatte Guzman an der Universität von Ayacucho in einer der ärmsten Regionen Perus gelehrt. Von dort aus baute er gleichzeitig seine Guerilla auf. 1978 verabschiedete sich Guzman von der Wissenschaft und ging in den Untergrund. Binnen kürzester Zeit wurde der Intelektuelle an der Spitze des Volkes zu einem Mythos. Kaum jemand wußte, ob es diesen „Professor Gonzalo“ tatsächlich gab. Aus den 80er Jahren existieren nur zwei Aufnahmen von der legendären Figur. Selbst an der Spitze von „Sendero Luminoso“ sollen ihn nur wenige persönlich gesehen haben. In der Öffentlichkeit präsentierte die Guerilla das Bild eines strengen Führers. 1985, zum fünften Jahrestag des „Volkskriegs“, kam ein Plakat von Guzman in Umlauf: Mit finsterem Blick schwenkt er da eine Fahne mit Hammer und Sichel in der geballten Faust. Zu seinen Füßen erscheinen jubelnde Campesinos, die Maschinengewehre schwenken. 1988 äußerte sich Guzman in einer gigantischen Selbstdarstellung in der damals noch legalen Zeitung el diario. Auf 45 Seiten erklärte er in dem „Interview des Jahrhunderts“ seine Bewunderung für Stalin, seine Auffassungen über den bewaffneten Kampf nach chinesischen Methoden und seine Perspektiven für Peru.

In den Slums von Lima, wo die Mehrheit der 7 Millionen HauptstädterInnen lebt, steht Guzmans aus aller Welt zusammengeklaubtes ideologisches Rüstzeug jedoch längst nicht mehr im Mittelpunkt. In den riesigen Elendsgebieten, wo alte Ressentiments gegen die arroganten, korrupten und aubeuterischen weißen Imperialisten fortleben, gilt vor allem die Losung von „Sendero Luminoso“: „Außer der Macht ist alles Illusion“. Dorothea Hahn