WAND UND BODEN
: Dem Wahren Schönen Guten

■ Kunst in Berlin jetzt: Nikolaus Utermöhlen, Königin Luise, Ingeborg Lüscher und Die Hormone des Mannes

When Men of Real art Govern & Pretenders Fall«, dann ist Das Letzte Gericht des William Blake gekommen. Nachzulesen auf der Einladungskarte der Zwinger Galerie. Der Irrtum wird geschaffen, die Wahrheit dagegen ist ewig, sagte Blake und schuf sein Weltenende. Irrtum und Experiment sind nicht Teil der Wahrheit, sagte er und Nikolaus Utermöhlen unterzog Das Letzte Gericht einer experimentellen farbxerographischen Martin von Ostrowski: »Ihr seid frei«, 1992, Öl auf LeinwandAbb.:Galerie

Überarbeitung: »An Infinite Painting on a Vision of the Last Jugdement by William Blake«. Unendlich versus Ewig. Es ist die Differenz, die die Differenz ausmacht, sagte Wittgenstein, dem es um wahre Sätze, mithin wahres Wissen ging; eine Tautologie, doch eine bedeutsame. Die Differenzen in den elf auf Aluminiumplatten aufgebrachten Bildern sind subtil; spürbar, bevor sie sichtbar werden. Die Irritation, die sich dadurch einstellt, steht mit dem Problem des Irrtums in Verbindung. Die heftige Buntheit des Lebens überstreut mit zusätzlichen gelben und pinkfarbenen Punkten. Utermöhlen hat die Blake-Grafik dreigeteilt und jedes Drittel in einer anderen Grundfarbe von Rot, Gelb und Blau farbfotokopiert. Aus diesen unterschiedlich übereinandergeschobenen Blättern entstehen die lodernden Farb- und Formdifferenzen der elf Wandbilder. Ihre rückgekoppelte Unterschiedlichkeit wird als gewalttätig empfunden. Gäbe es denn Wahrheiten: Dieses Begehren ist verbunden mit einem paradox unskeptischen Berührtsein des Künstlers vom gegenteiligen Blakeschen Pathos.

Bis 10.Oktober, Dresdener Straße 125, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Augenscheinlich bewegt das Problem der Wahrheit auch Martin von Ostrowski mit seinen neuen Ölbildern bei Nikolaus Sonne: Aggressive Romantik. Rosarote Rosen blenden auf weißer Wand. Am anderen Ende der Raumflucht trifft man auf Königin Luise mit Diadem und rosa Ballkleid, gelbe Sonnenblume in der Hand; ein Selbstportrait des Künstlers. In dieser Rolle tritt er auch auf und schreibt auf weißes Leinentuch: Ich weihe mein Leben Königin Luise. Es geht nicht um die von Preußen, sondern um das Prinzip Ingeborg Lüscher: Ohne Titel, 1991Abb.: Galerie

Kunst. Mit Anmut und Würde begabt, huldvoll lächelnd, nach der Königinnen Art, spricht sie vom Schönen als dem sinnlichen Scheinen der Idee, Hegels zentralem ästhetischen Prinzip. Aber Utermöhlens widerständiger Ergebenheit am Blake nicht unähnlich, legt sich Ostrowski dann doch mit Hegels romantischem Kunstwerk an, indem er das sinnlich Wohlgefällige eben gerade wieder auf das Piedestal der Kunst setzt. Aggression mit reflektierter Reserve allerdings, denn Arnold Schwarzenegger, »Der Barbar« erscheint nur fragmentiert in Comic-Blasen, die über die mintgrüne, mit weißen und pinkfarbenen Pinselstrichen gezeichnete Bildfläche treiben. Ein wandbeherrschendes Blumenstilleben ist wie »ihr seid frei« ein zweigeteiltes Bild. Merkwürdigerweise ordnet der Künstler hier die realistisch gezeigte obere Bildhälfte dem Bereich der Ratio zu, während die rosa eingefärbte untere Hälfte, die die sensuell ärmere ist, der Emotion zugesprochen wird.

Bis 24.Oktober, Galerie Nikolaus Sonne, Kantstraße 138, Di-Fr 11-13 und 15-18.30Uhr, Sa 11-14Uhr.

Diptychon ist auch ein Thema von Ingeborg Lüscher. Wobei das Schwarz, das ihre Großformate teilt, nur noch ein Verweis auf das berühmte Schwarz in der Kunst der Moderne ist, das nach Adorno noch die entzauberte Welt überbot. Dem Wahren, Schönen, Guten sind Wand und Boden gegenwärtig gewidmet, so scheint es. La promesse du bonheur: mit einem leicht wahrnehmbaren Geruch, als ob Luzifer persönlich in den letzten Tagen bei der Galerie Tilly Haderek und Klaus Fischer vorbeigeschaut hätte, erstrahlt es als unwahrscheinlich lichtes, helles Schwefelgelb. Die Welt ist voller Zauber, jetzt. Die kristalline Substanz des Schwefels gebiert ein Leuchten. Das phantastische Gelb kann als Farbe gar nicht mehr gelten. Durch dieses geradezu euphorisierende Licht bricht das pechschwarze Dunkel von Holzasche, übermalt mit Acryl. Eine Meditation mit Material über Licht und Dunkel. Räumliche Assoziationen stellen sich ein. Hat Zusammenhalten wie Pech und Schwefel etwas mit Ausdehnung im Raum zu tun? Diese Empfindung geht über den Oberflächenreiz des aus dem Meer von Schwefellicht wie Schaumkronen herauswogenden Schwarz hinaus. Neben den großen Tafelbildern, einem fünfteiligen Zyklus von Radierungen, ist denn auch der kleine kompakte Körper einer gelb überpuderten Skulptur von Ingeborg Lüscher, die gegenwärtig noch auf der documenta IX vertreten ist, das Wunderding schlechthin, »Lichtmasse«.

Bis 31. Oktober, Friedbergstraße 34, Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr

Menschenmassen drängten sich dann am Sonntag auf der Eröffnung im Schwulen Museum, Die Hormone des Mannes. Medizinisch nicht sonderlich bewandert, fällt mir nur Testosteron ein. Und damit Worte wie Bartwuchs, Aggressivität, Haarausfall. Kurz, all das, was am Mann nicht sonderlich gefällt. Die Provokation dieses Titels — ist vielfach. Vor allem ist sie kontrapunktisch zum vorher gesehenen Kunstgeschehen. War und ist es doch die Diskussion über die Geschlechterdifferenz, der die wahre Wahrheit, gerade als naturwissenschaftliches Wissen, fragwürdig wurde. Wahrheiten im Plural sind also zu sehen, Möglichkeiten. Auch Unmöglichkeiten: das Bild »Sportsfreunde« von Blalla W. Hallmann, in dem Bush mit Kohl a tergo zu gange Ueli Etter: Ohne Titel, 1992 (Scherenschnitt aus Papier)Abb.: Schwules Museum

ist. Das will politisch sein, und ist doch nur homophob. (Hallmann stellt derzeit im Künstlerhaus Bethanien aus; wer politische Kunst als Mißverständnis goutieren kann, dem sei der Hinweis gegeben.) Tendenziell mißverständlich auch Uele Etters »Scherenschnitt« auf der Ausstellungseinladung, der Silhouettenmänner im geschlossenen Kreislauf von erigiertem Schwanz um gezücktem Revolver am Kopf des Vordermannes zeigt. Trotz Aids: Wie tödlich sind die Hormone des Mannes? Es wird noch nachgehakt werden.

Bis 1.November, Mehringdamm61, 2.Hof, Mi-So 14-18Uhr, Samstag 17Uhr Führung

Davor noch ein Blick in das Kunst Büro Berlin. Sybille Berger zeigt vier psychedelisch bunte Arbeiten. Niki de Saint Phalle geometrisiert und streng strukturiert. Eierkartons durchbrochen und bemalt bilden ein Netz- und Gitterwerk über ebenso farbenfrohem Grund, der teils gemalt, teils gedruckt ist. Im Kontrast dazu legt Sigrid Schulze einen Halbkreis aus weißen Gipskugeln auf dem Boden aus. Weiße kostbare Schlichtheit, in idealer Form. Mit dem gleichen weißen Gips arbeitet auch Anja Brendle. Kuben mit Löchern und als Gegenstück mit Röhren lassen sich verbunden oder unverbunden zusammengruppieren. Ein Gebilde aus offenen Halbkugeln mit kommunizierenden Röhren verbunden erinnert an das Atommodell von Brüssel. Es ist dann aber zu irregluär und will als organische Form wahrgenommen werden.

Bis 27.September, Skalitzer Straße33, Do-So 15-19Uhr

Brigitte Werneburg