Knast für Amadeu Antonios Peiniger

In Frankfurt an der Oder wurden gestern die Urteile gegen die fünf Angeklagten aus Eberswalde gesprochen/ Vier Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge für die Hauptangeklagten/ Prozeß spiegelte auch hilflose Staatsmacht  ■ Aus Frankfurt Bascha Mika

Öffentliche Reuebekenntnisse sind eine peinliche Angelegenheit. Selten ehrlich, manchmal grotesk, nur vereinzelt mit kathartischer Wirkung. Im Gerichtssaal von Frankfurt/Oder sprechen die Angeklagten ihr Schlußwort. Unbeholfen steht einer nach dem anderen auf, schlenkert hilflos mit den Armen, sagt dann: „Es tut mir leid“, oder: „Ich bereue ganz doll“. Teils neugierig, teils unbehaglich sucht das Publikum nach Zeichen von Beschämung in den jungen Gesichtern. Doch was ist dieses von der Verteidigung vorbereitete Ritual wert?

Alle fünf Beschuldigten bedauern irgend etwas: der eine, daß er mitgegangen ist, als rund 50 Skins und Heavy-Metals im ostdeutschen Eberswalde „Neger aufklatschen“ wollten. Der andere, daß er in jener Nacht vom 24. auf den 25.November 1990 einen Menschen geschlagen hat. Keiner zeigt Scham über die üblen rassistischen Motive, denen Amadeu Antonio aus Angola zum Opfer gefallen ist; keiner will Verantwortung für das Verbrechen übernehmen, bei dem zum ersten Mal in den fünf neuen Ländern ein Ausländer totgeprügelt wurde wie ein Hund und zwei weitere schwer verletzt wurden. Die Anklage gegen die Heranwachsenden lautet auf „gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge“ und „schweren Landfriedensbruch“.

Von den jungen Männern rechnen sich vier zur Heavy-Metal-Szene; ihre langen Haare haben sie jedoch längst in Fasson geschnitten. Einer bezeichnet sich als „rechtsradikaler Jugendlicher“, trägt den ehemaligen Glatzkopf inzwischen bewachsen und sauber gescheitelt. 14 Verhandlungstage saßen die 18- bis 21jährigen vor Gericht, wie in einer öden Unterrichtungsstunde: Anwesenheit ist Pflicht, der Rest Langeweile. Müde linsten sie unter ihren Lidern hervor, konnten sich kaum aufrecht auf den Stühlen halten, beäugten die Zeugen, als gäben die Wasserstandsmeldungen durch. Am 15. Prozeßtag plädierten der Staatsanwalt und der Vertreter der Nebenklage. Da rieb sich Steffen H. die Augen, Marek J. schlug die Hände vors Gesicht, Gordon K. schüttelte immer wieder den Kopf, Ronny J.s Schultern zuckten krampfhaft, Sven B.s Grinsen gefror.

Staatsanwalt Möller hatte Jugendstrafen zwischen drei und fünfeinhalb Jahren gefordert. Für „gefährliche Körperverletzung“ mit Todesfolge, „Körperverletzung“, „Mittäterschaft“. Ronald Reimann, der Nebenklägervertreter, hatte bei dreien der fünf Beschuldigten sogar auf Totschlag plädiert. Zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses schienen die Jungmänner zu begreifen, daß ihnen ein schweres Verbrechen vorgeworfen wird. Sollten sie in diesem Moment kapiert haben, daß hierzulande ein Menschenleben nicht ungestraft ausgelöscht werden darf — auch nicht das eines „Negers“?

Als Richter Hartmut Kamp sein Urteil verkündet, wird die böse Ahnung der Angeklagten zur Gewißheit. So milde, wie sie vielleicht gehofft — und wie viele ProzeßbeobachterInnen aufgrund der dürftigen Beweislage befüchtet haben — kommen sie nicht davon. Kamp verurteilt Steffen H., Gordon K. und Marek J. wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Jugendstrafe von vier Jahren. Das Strafmaß für dieses Verbrechen liegt zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Wie der Staatsanwalt geht Kamp davon aus, daß sich die drei in dem Kreis um Amadeu Antonio befunden, auf ihn eingeschlagen und getreten haben. Für Kamp waren sie „Aktivisten in der tödlichen Gruppe“. Zwar räumt er ein, daß keinem der drei nachgewiesen werden konnte, Antonio letztendlich tödliche Verletzungen zugefügt zu haben. Aber das könne die Angeklagten nicht „entlasten“.

Bei seiner Begründung stützt sich der Richter hauptsächlich auf die Aussagen des zu Prozeßbeginn geflüchteten Angeklagten Kai Nando B. Der hatte — wieder eingefangen und als Zeuge vernommen — Gordon K. und Steffen H. schwer belastet. Für Kamp war Kai Nando glaubhaft. Marek J. war nicht nur von Zeugen belastet worden, sondern hatte die Schläge gegen Antonio selbst zugegeben.

Sven B. befindet der Richter der gefährlichen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung und Nötigung für schuldig. Allerdings, so Kamp, sei er überzeugt, „daß Sven B. am Tod von Antonio nicht beteiligt war“. Er verurteilt den Angeklagten zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstraße. Ronny J. kommt wesentlich glimpflicher davon. Als der Richter den Schuldspruch für den jüngsten Beschuldigten verkündet, gibt es Pfiffe und Buhruffe im Saal. Zwei Jahre auf Bewährung wegen Körperverletzung. Nichts anderes sei Ronny J. nachzuweisen, begründet Kamp. Der Richter betont, daß die Angeklagten wegen ihrer „verzögerten Reife“ zu Jugendstrafen verurteilt würden. Beim Jugendstrafrecht stehe Erziehen vor Strafe, ein besonders hartes oder abschreckendes Urteil sei untersagt. Dieses Prinzip, so Kamp, müsse auch auf „dem Hintergrund der jüngsten Ausschreitungen gegen Ausländer“ gelten. Die ausländerfeindlichen Motive der Angeklagten bringt Kamp in seiner Begründung allerdings strafverschärfend ein.

Skandal im Vorfeld des Verbrechens

Wer hinter diesem Urteil eine generelle Unfähigkeit der Justiz gegenüber gewalttätigen Ausländerfeinden oder eine generelle Ohnmacht des Rechtsstaats entecken will, täuscht sich. Der Fall Amadeu Antonio war geprägt von hausgemachten Problemen der beteiligten Institutionen, deren Verhalten zwischen Unwillen und Hilflosigkeit schwankte. Der Skandal fing schon im Vorfeld des Verbrechens bei der Eberswalder Polizei an.

In der Nacht, als Antonio überfallen wurde, hatte ein Sondereinsatzkommando die rund 50 Skins und Heavy-Metals überwacht. Die zogen Richtung „Hüttengasthof“, um afrikanische Vertragsarbeiter anzugreifen. Trotz erheblicher Randale und Sachbeschädigung nahm die wohlgerüstete Polizei die Jugendlichen nicht fest. Sie griff auch nicht ein, als der aufgepeitschte Mob über drei Schwarze herfiel. Erst als Amadeu Antonio bewußtlos geprügelt war, schlenderte ein Hüter der Ordnung herbei, um den Angolaner „in die stabile Seitenlage“ zu bringen.

Die Ermittlungen waren schlampig, voller Nachsicht gegenüber den Tätern und kamen erst zwei Monate nach dem Verbrechen richtig in Gang. Der Einfachheit halber konzentrierten sich die Fahnder zunächst auf die Skins. Die waren an ihren Glatzen leicht zu erkennen. Die Heavy-Metals und die organisierten Rechtsradikalen ließen sie zunächst ungeschoren. Die Polizei nahm die organisierte Szene auch dann nicht ins Visier, als sich herausstellte, daß deren Protagonisten mehr und mehr in Verdacht gerieten. Die Parole jener Nacht, „Neger klatschen“, ist wahrscheinlich von einem stadtbekannten Rechtsradikalen ausgegeben worden. Aus Neonazikreisen wurde aber niemand angeklagt.

Verwischte Spuren, arg verblaßte Erinnerungen, als der Prozeß nach eineinhalb Jahren endlich eröffnet wurde. Nicht alles läßt sich mit den chaotischen Zuständen des politischen Umbruchs entschuldigen — auch wenn das Verbrechen begangen wurde, als Polizei und Justiz noch in den Wendewehen steckten. Da wurde Ausländerhaß verharmlost und daraus der Maßstab fürs Handeln geschnitzt. Davon hatte auch die Hauptverhandlung einiges zu bieten: Einen West-Richter, der sich nur ungern von dem Begriff „Neger“ trennen mochte. Einen Ost-Staatsanwalt, der sich scheute, den rassistisch motivierten Vorsatz der Täter zu benennen. Vier Ost-VerteidigerInnen, die die fremdenfeindliche Handlung ihrer Mandanten gern zu einer „Spontantat unter Alkoholeinfluß“ umgemünzt hätten. Zwei jungsche West-Anwälte, die die politischen Hintergründe des Verbrechens zum Anlaß nahmen, sich Hahnenkämpfe zu liefern. Während Nebenklägervertreter Reimann geschickt bemüht war, das rechtsradikale Umfeld der Täter zu durchleuchten, spielte Verteidiger Alrik Kohrs mit „Fishermen Friends“-Pastillen „Mühle“ und unterbrach seinen Kollegen — immer mit Blick auf den Richtervater — durch alberne Zwischenrufe.

Ansonsten traten auf: ein geflüchteter und wiedereingefangener Angeklagter, dessen Verfahren abgetrennt werden mußte. Neonazis, die in vollem Ornat als Zeugen erschienen oder im Zuschauerraum lärmten. Glatzen, die vor dem Gerichtssaal offensichtlich mit ihren Kumpels die Zeugenaussagen probten.

Und immer wieder Schweigen, Lügen, Verschleierungen. In der Verhandlung rächten sich die Sünden der Polizei. Das Gericht wurde zur Ermittlungsinstanz. Mühsam mußte es Zeugen zum Reden bewegen und sich detektivisch einen Weg durch das Labyrinth ihrer Aussagen bahnen. Schon bald zeichnete sich ab: Mehrere Zeugen einschließlich Polizei waren so belastet, daß mittlerweile gegen sie Ermittlungsverfahren laufen. Dementsprechend unklar und widersprüchlich blieben ihre Berichte. Doch kein einziges Mal ließ das Gericht einen Zeugen vereidigen, um ihn zur Wahrheit zu zwingen. Unverständliche Milde.

Wer von den 50 randalierenden Jugendlichen auf der Anklagebank und wer auf dem Zeugenstuhl gelandet war, schien bereits nach den ersten Verhandlungstagen mehr oder weniger zufällig. Und wer von den fünf Beschuldigten tatsächlich in dem Kreis um Amadeu Antonio gestanden und auf ihn eingetreten hatte, ließ sich erst recht nicht zweifelsfrei nachweisen. Doch alle Angeklagten waren mit der erklärten Absicht losgezogen, Menschen zu überfallen und zu verletzen. Den Tod ihrer Opfer haben sie dadurch in Kauf genommen. In anderen Kontexten hätte diese Absicht der Justiz völlig gereicht, sie wesentlich härter zu bestrafen.