Chef vom armen Brüderchen

■ Hans Man in't Veld bleibt nun doch Kampnagel-Chef bis 1994 / Zeitpunkt der Vereins-Entscheidung provoziert Mißstimmung

bleibt nun doch Kampnagel-Chef bis 1994

Zeitpunkt der Vereins-Entscheidung provoziert Mißstimmung

Am Montag abend hat der Trägerverein von Kampnagel „mit großer Mehrheit“ beschlossen, den Vertrag mit dem künstlerischen Leiter Hans Man in't Veld in seiner ursprünglichen Länge bis 1994 zu erfüllen. Man in't Veld, der im Zusammenhang mit dem 91er Defizit (948000 Mark) letzten Dezember seinen Rücktritt erklärt hatte, sollte das Gelände eigentlich nur noch bis zum 30.6.93 interimsmäßig leiten, hatte aber im März erklärt, doch bis zum regulären Vertragsende bleiben zu wollen.

Befremden löste diese Entscheidung in der Kulturbehörde und bei den Vertretern der Freien Gruppen aus, da am gestrigen Abend ein erstes konzeptionelles Gespräch mit dem Thema „Zukunft von Kampnagel“ bei der Kultursenatorin Christina Weiss angesetzt war. Bei dieser Runde, zu der neben allen auf dem Gelände Arbeitenden und dem Trägerverein auch zwei externe Fachleute (Tom Stromberg vom Theater am Turm in Frankfurt und Ritsaert ten Cate) eingeladen worden waren, sollten die längerfristigen Perspektiven und mögliche neue Konzepte diskutiert werden.

Christina Weiss reagierte auf die Entscheidung mit einer kurzen, verschnupft klingenden Erklärung. Sie habe eingeladen, „um darüber zu sprechen, wie konzeptionell – und in der Konsequenz personell – auf Kampnagel weiter verfahren wird. Dabei bleibe ich.“ Hinrich Schmidt-Henkel, Referent der Senatorin, nennt den Zeitpunkt dieses Entschlusses vorsichtig „eigentümlich“. Scheinbar habe man vor dem Gespräch „vollendete Tatsachen“ schaffen wollen. Auch die Vertreter der Freien Gruppen erklärten in einer Stellungnahme, daß diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt „eine Ohrfeige, nicht nur für die Kultursenatorin“ sei.

Dem widersprach Schauspielhaus-Intendant Gerd Schlesselmann, Vorstandsmitglied des Trägervereins, der darauf verwies, daß es zum jetzigen Zeitpunkt längst viel zu spät sei, um einen geeigneten neuen Kandidaten für die Spielzeit 93/94 zu finden. Auch als späten Freispruch Man in't Velds von

1der Mitschuld an dem Defizit wollte er den Entschluß nicht verstanden wissen. Norbert Aust, Vorstandsvorsitzender des Trägervereins, bestätigte, daß diese Wahl nur eine Interimslösung für ein weiteres Jahr bedeute.

Dennoch bleibt Hans Man in't Veld damit ein beträchtlicher Zeitraum, um seine Konzepte zu ver-

1wirklichen und den angeschlagenen Ruf des Geländes zu erneuern, auch, wenn er nur über knapp 500000 Mark künstlerischen Etat verfügt. Trotzdem werde Kampnagel, so Man in't Veld, immer das „arme Brüderchen“ bleiben, das nur in Koproduktion mit anderen Theatern größere Produktionen ermöglichen könne. Till Briegleb