Ein einziges Plagiat

Friederike Roths „Erben und Sterben“ im Kölner Schauspiel  ■ Von Gerhard Preußer

Vor fast zehn Jahren veröffentlichte Friederike Roth ein Buch mit dem bombastisch-verschmitzten Titel „Das Buch des Lebens. Ein Plagiat. Erste Folge: Liebe und Wald“. Die Ankündigung einer Trilogie mußte man damals als Teil des selbstironischen Verwirrspiels der Autorin verstehen. Doch nun hat sie, so scheint es, ernst gemacht: „Erben und Sterben — Ein Stück“, die zweite Folge der Trilogie, liegt vor; Günter Krämer hat es zunächst bei den Wiener Festwochen uraufgeführt und nun an sein Kölner Schauspielhaus übernommen.

In „Liebe und Wald“ erfand die Autorin Friederike eine Autorin Else, die ein Theaterstück über Liebe und Wald konzipiert, aber nicht schreibt. Ihre Überlegungen über einen echten Wald auf der Bühne, der dennoch nicht als echter wirkt, sondern als Zeichen für das Verhältnis von Kunst und Leben, und über ein symbolisches Boot mit einem Mann und einer Frau darin endeten in der Verzweiflung. „Erben und Sterben“ ist so etwa das Stück, das Else damals schreiben wollte.

Eine Trilogie reiht bei Friederike nicht drei Teile aneinander, sondern schachtelt sie: die alte Schachtel-in- der-Schachtel-Konstruktion. „Erben und Sterben“ ist ein Text im Text.

Das Bühnenbild der Kölner Inszenierung stellt diese Bezüge optisch her. Bühnenbildner Gottfried Pilz pflanzt einen spärlichen Fichtenwald auf die Bühne, dessen entnadelte Stämmchen von Umwelt- oder Weihnachtsschäden künden. Später gleitet auch das rätselhafte Boot im Hintergrund vorbei. Dazu flackern Videomonitoren und zeigen uns, wo das Stück „wirklich“ spielt: in einem umgebauten Berggasthof mit idyllischer Umgebung. Der Bühnenwald ist echt und doch nur in unserer Vorstellung, der Gasthof ist Spielort und doch nur technisch reproduziert. Die Simulation von Wirklichkeiten ist zirkulär verdreht: ein endloses geflochtenes Band von Zeichen.

Die Geschichte des Stückes ist einfach (im Stück selbst findet man dazu, wie zu allem, was man darüber sagen kann, einen Kommentar: „Später dann ist die Geschichte unwichtig, natürlich“): Ein Quartett von Künstlerinnen (Malerin, Komponistin, Librettistin, Pianistin) kauft unter Leitung einer Medienfrau einen alten Gasthof zur gemeinsamen Kunstproduktion und Vermarktung. Die Drohung der Medienfrau: „Hier sollen Kunststücke entstehen. Hier lasse ich keinen Weiberpuff zu“, bleibt wirkungslos. Die Kunstwerkelchen der keifenden Dämchen bleiben in kümmerlichen Projektbeschreibungen stecken, die erotischen Verwicklungen aber wuchern kräftig. Regieanweisung: „Die Lage wird heftig. Die Künstlerinnen werden handgreiflich.“ Anlaß ist die Anwesenheit der Freundin der Komponistin, einer kunstverliebten Tierärztin. Das Gemeinschaftskunstprojekt geht bankrott wegen Produktionsausfall, die Dalmatinerklinik der Tierärztin ebenfalls, und so bleiben als Finanzquellen nur noch die Männer übrig. Das Stück endet mit einer mäzenatischen Abendgesellschaft, bei der man erfährt, daß das Männergeschwätz der Kulturjournalisten allemal lächerlicher ist als das Weibergezänk der Künstlerinnen.

Doch die Kultursatire ist nur eine Schicht des Textes. Gegen das Stimmengewirr der wurzellosen Gegenwartsfrauen ist der Monolog einer Verstorbenen gesetzt. Die Vorbesitzerin des Gasthofs, die Kronenwirtin, erzählt von einem ganz anderen Frauenleben: fest verwurzelt, an den Mann gebunden, dennoch eigenständig, resigniert, aber ungebrochen. Das Gegeneinanderschneiden von überzeichneter Gegenwart und verklärter Vergangenheit könnte zu falschen Schlüssen führen. Die Wertungen des Stückes sind nicht eindeutig. Die hektischen Künstlerinnen sind in ihrer überspielten Verzweiflung anrührend. Die pflanzenhaft ruhige Alte ist eher fremd und seltsam. Kunstfiguren sind sie alle. Die Lebensweisheiten der Wirtin sind in einer verknappten Volkssprache formuliert, die ebenso artifiziell ist wie der auf Pointen zugespitzte Modejargon der hysterischen Plappermäuler.

Denunziatorisch ist die Darstellung der unproduktiven Kunstfrauen schon deshalb nicht, weil sie erfrischend selbstironisch ist. Friederike Roth, die Autorin schmaler Büchlein voll kostbarer Wortmusik, läßt die „Librettistin“ in ihrem Stück einige Szenen aus einem fragmentarischen Werk vorspielen. Dieses Stück-im- Stück zitiert wieder ähnliche Stück- im-Stück-Konstruktionen aus anderen Stücken Friederike Roths. Regisseur Günter Krämer tut ein übriges und montiert in diese Mann-Frau- Dialoge der Librettistin einen Text aus Friederike Roths vorletztem Stück „Die einzige Geschichte“. „Erben und Sterben“ ist auch ein gelungener Münchhausen-Trick Friederike Roths: Am eigenen Schopf hat sie sich wieder auf die Bühne gezogen und liefert nun das neue Werk, auf das man nach ihrem letzten Erfolg mit „Das Ganze ein Stück“ (1986) so lange wartete.

Günter Krämer ist Friederike Roths getreuer Uraufführungsknappe und hat auch bei seiner vierten Erstinszenierung einer Rothschen Sprachzauberei wesentlichen Anteil am Erfolg. Doch geht er weniger den poetischen Verästelungen des Szenengestrüpps nach, er sorgt eher mit kräftigen Einschlägen für den Durchblick. Er kürzt die vielstimmige Abendgesellschaft der Männer zu einem Terzett zusammen, stellt die vertrauerte Schlußelegie der Medienfrau vor das Männertrio und verschärft so die Polemik des Stückes. Dennoch hält er sich auf dem schmalen Grat zwischen seelenkundigem Tiefsinn und bodenlosem Kabarett, dank seiner drei Starschauspielerinnen: Alle sind Idealbesetzungen.

Traute Hoess kommandiert als Medienfrau die Weibertruppe und kriegt mit Lebenskraft und Löwenmähne auch die Motorsäge hoch vor den Hosenlatz des Overalls. Ingrid Andree als Komponistin ist der Anlaß des Gezänks, ein altes, zickiges Katastrophenkind, scheinbar zerbrechlich, doch eisern andere zerbrechend. Und Susanne Barth ist die libellenschlanke, flirrende Librettistin, verkopft, verschüchtert und doch hartnäckig, zäh, trotz aller Zappelei. Daneben turnt Therese Dürrenberger eine agile Malerin vor, die eitel und von sich selbst ergriffen die Bildbeschreibungen ihrer ungemalten Bilder vortanzt. Anke Tegtmeyer watet mit treuem Blick als Tierärztin wie eine überzüchtete Riesendogge über die Bühne, und Jacqueline Kornmüller räkelt sich als unterbeschäftigte Pianistin verträumt auf dem Flügel. So nahe diese Figuren an der Karikatur sind, sie brechen doch immer wieder aus der flachen Komik aus in herzzerreißende Panik.

Beifall von der falschen Seite, der Antifeminismusfront, der Patriarchenriege, die schon immer wußte, daß Kunst nur Männersache sei, würde sich selbst widersprechen. Denn die ironische Selbstreferentialität des Stückes endet an diesem Widerspruch: Den Kunst-Verbund- Frauen gelingt kein Werk, das Beifall finden könnte, sie selbst aber sind Teil eines Werkes, das viel Beifall fand.

Friederike Roth „Erben und Sterben“. Kölner Schauspiel (Schauspielhaus). Inszenierung: Günter Krämer. Bühne: Gottfried Pilz. Mit: Traute Hoess, Ingrid Andree, Susanne Barth, Grete Wurm, Alexander Grill. Weitere Vorstellung: 27. September