Schubladen bekommen keine Orden

■ Die Verteidigungsstrategie Stolpes ist zusammengebrochen

Schubladen bekommen keine Orden Die Verteidigungsstrategie Stolpes ist zusammengebrochen

Die Karriere des Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred Stolpe geht einem rasanten Ende entgegen. Nachdem die Verleihung des DDR-Verdienstordens an Stolpe in aller Munde ist, die ausweislich der Akten des Staatssicherheitsdienstes von Stasi-Chef Mielke höchstpersönlich angeordnet wurde, ist die Verteidigungsstrategie des Regierungschefs in sich zusammengebrochen. Bisher hat der frühere Konsistorialpräsident immer beteuert, ohne sein Wissen und ohne seine Billigung als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden zu sein. Wiederholt hat uns Stolpe erklärt, daß die umfangreichen Akten zum Fall IM „Sekretär“ quasi nur eine Schublade gewesen seien, in die die Stasi neben den Gesprächsinhalten aus den (für humanitäre Anliegen) notwendigen Kontakten Stolpes auch Informationen aus anderen Quellen abgelegt hätte. Auf diese Aussage stützten sich bisher auch die Verteidiger Stolpes. Diese Verteidigungslinie ist nun so nicht mehr zu halten— die Stasi hätte einer Person, die sie nicht als Mitarbeiter führte, keine Orden verleihen können.

Das weitere Schicksal Stolpes hängt nun an der Frage, wie, wo und unter welchen genauen Umständen ihm die Verdienstmedaille verliehen wurde. Stolpe greift zwar auch hier auf seine bislang erfolgreiche Strategie zurück. Er sagt, er habe nicht gewußt, daß die Stasi „da mit drinhing“. Anders als bisher dürfte dies aber nicht mehr verfangen — Schubladen bekommen keine Orden.

Ein Sturz Stolpes wird die Kluft zwischen Ost und West in Deutschland noch einmal vertiefen, träfe er doch den einzigen profilierten Politiker aus den neuen Bundesländern. Sicherlich wird es dann wieder heißen, daß Stolpe von seinen Gegnern mit unbewiesenen Stasi-Anschuldigungen zur Strecke gebracht wurde. Diese Deutung geht indessen fehl. Es war immerhin der Ministerpräsident selber, der seine unbestrittene Popularität gegen die IM-Anschuldigung ins Feld führte und die Aussagen aus den Akten in das Reich der Fabeln zu verbannen suchte. Durch seine Beteuerung, zu keiner Zeit IM gewesen zu sein, ist es unter anderem auch Stolpes zweifelhaftes Verdienst, daß in der gegenwärtigen Vergangenheitsbewältigung nur die Frage „IM — ja oder nein“ und nicht die nach der tatsächlich geleisteten Arbeit für die Stasi gestellt wird.

Wenn vor dem Untersuchungsausschuß die Ordensverleihung durch die Stasi bewiesen wird, lüftet sich der Schleier, den Stolpe über die Aussagekraft der Akten gelegt hat. Ins Rampenlicht werden auch all die wieder gerückt, die ähnlich wie Stolpe für sich einen Ausnahmefall bei der Staatssicherheit reklamieren. In Frage gestellt werden damit allerdings auch die Aussagen der Stasi-Offiziere, die Stolpes Version vor dem Ausschuß in Potsdam bestätigt hatten. Am Ende stolpern sie über die Akribie, mit der im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat der Geheimdienst seine Akten führte. Wolfgang Gast