INTERVIEW
: „Beide große Parteien verlieren“

■ Gerhard Schröder, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, zu den Beschlüssen des Vorstands seiner Partei in Sachen Asylpolitik

taz: Tagtäglich Anschläge und das „Ausländer raus“-Geschrei — und die SPD will dem Druck von rechts durch die Änderung des Asylgrundrechts nachgeben.

Gerhard Schröder: Es ist falsch, einen direkten Zusammenhang zwischen den Anschlägen und den Asyl- Beschlüssen der SPD zu konstruieren. Meine Partei hätte gleichwohl von Anfang an auch gegenüber denjenigen, die wie ich 1968 für mehr Demokratie gekämpft haben, klarmachen müssen: Dies ist unsere Republik. Die lassen wir nicht von wildgewordenen Rechtsradikalen kaputtbomben. Deswegen müssen gerade Angehörige meiner Generation jetzt ihre politische Zurückhaltung aufgeben, müssen öffentlich für diese Republik einstehen.

Für die Jusos ist die SPD mit ihren Asylbeschlüssen auf ein opportunistisches, rechtspopulistisches Niveau abgesunken.

Da sehe ich meine Partei auf einem ganz anderen Niveau. Unzweifelhaft gibt es ungeheure Probleme mit den Zuwanderern. Wer diese Probleme leugnet — und sei es die taz—, der irrt. Die Gemeinden sind kaum noch in der Lage, für eine angemessene Unterbringung zu sorgen. Deshalb muß sich in der Praxis etwas ändern, und das haben die Jungsozialisten wohl übersehen.

Nun schließt ja auch Gerhard Schröder seit langem eine Änderung des Artikel 16 nicht mehr aus.

Das ist richtig. Aber ich bin dafür, daß die Debatte über die Änderung der Verfassung vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Eine Verfassung ist nicht die Satzung eines Geflügelzuchtvereins. Die ändert man nicht, weil einem nichts Besseres mehr einfällt. Das Grundgesetz ändert man allenfalls dann, wenn man klar definierte Ziele durchsetzen will, die hier in Sachen Zuwanderung auch zu praktischen Veränderungen führen. Wenn diesen sinnvollen Zielen die Verfassung entgegensteht, dann ist es vernünftig, aus einer Verfassungsänderung kein Tabu mehr zu machen.

Sie glauben 95 Prozent des Asylbeschlusses vom Samstag mittragen zu müssen, wo liegt denn nun Ihre Differenz zur Mehrheit im SPD- Vorstand?

Ich muß nicht, ich kann den Beschluß zu 95 Prozent mittragen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nach meiner Aufassung wäre für die Umsetzung dieses größten Teils des Beschlusses keine Verfassungsänderung notwendig. Es sei denn, man schnürt mit der Union ein Paket, das zu einem vernünftigen Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, zu einem B-Status für Bürgerkriegsflüchtlinge und zur Aufrechterhaltung des Asylgrundrechts führt. Wenn man dann noch die notwendige Europäisierung, die gegenseitige Anerkennung rechtsstaatlicher Asylentscheidungen, mit in das Paket hineinnimmt, dann ist es notwendig, diese vier Rechtsgebiete gegeneinander abzugrenzen. Da kann dann auch der Artikel 16 nicht mehr unantastbar sein. In diesem Zusammenhang halte ich auch eine Verfassungsänderung für möglich. Ich lehne allerdings eine Änderung des Artikels für die Einführung von Länderlisten ab. Solche Listen wirklich oder vermeintlich verfolgungsfreier Länder, deren Bürger bei uns dann kein Asyl mehr suchen könnten, wären überhaupt nur dann wirksam, wenn man gleichzeitig eine Form von Visapolitik und Grenzsicherung betreiben würde, die ich aus innen- und außenpolitischen Gründen für höchst problematisch halte.

Was wollen Sie nun genau aus dem SPD-Vorstandsbeschluß gestrichen sehen, warum haben Sie mit Nein gestimmt?

Ich will natürlich den Hinweis darauf gestrichen haben, daß man Länderlisten aufstellen will. Es wird doch ungeheuer schwierig werden, diese Listen festzuschreiben. Wird dann etwa die Türkei ein Verfolgerstaat werden? Sie ist definitiv ein solcher, sie verfolgt Kurden und Yeziden. Aber welche außenpolitische Folgen hätte eine Definition als Verfolgerstaat, wo die Türkei doch Mitglied der Nato, des Europarats und assoziiertes Mitglied der EG ist. Hier beginnen praktische Probleme, die bei dieser Forderung nicht zureichend mitbedacht wurden.

Nun will der Vorstandsbeschluß auch solche Flüchtlinge aus dem Asylverfahren ausgeschlossen sehen, die falsche Angaben zur Person machen. Selbst Willy Brandt ist einst aus guten Gründen unter falschem Namen ins Exil gegangen.

Mit der Lebensgeschichte unseres Ehrenvorsitzenden bemühen Sie hier ein falsches Beispiel. In dem Beschluß geht es um Personen, die nach ihrer Ausweisung wieder einreisen— zum Teil auch mehrfach — und sich damit eindeutig mißbräuchlich verhalten. Wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten und wegen der geringen Zahl, um die es dabei geht, kann man das allerdings schon durch eine Änderung der Verwaltungspraxis in den Griff bekommen. Auch wegen dieses Punktes muß man nicht das schwere Geschütz einer Verfassungsänderung auffahren. Da ich nun mal ein praktischer Mensch bin, glaube ich, daß nur die Beschleunigung der Verfahren und eine härtere Abschiebepraxis wirklich etwas bringen. Mit den beiden weitergehenden Punkten des Vorstandsbeschlusses läßt sich eine Verfassungsänderung nicht begründen.

Eine Verfassungsänderung wollen Sie, wenn nötig, für ein Paket aus B-Status für Bürgerkriegsflüchtlinge, europäischer Vereinheitlichung und dem Zuwanderungbegrenzungsgesetz, wie sie es nunmehr nennen. Da würden aber auch Leute von Asylverfahren ausgeschlossen, die erst dadurch Verfolgung erleiden könnten, weil sie etwa aus einer Diktatur in die BRD auswandern wollen. Man denke da nur an die „Ausreiser“ in der ehemaligen DDR.

Wer einen Zuwanderungsantrag für die Bundesrepublik gestellt hat, darf nicht auf das Asylverfahren umsteigen dürfen, falls sein Antrag abgewiesen wird. Um ein solches Umsteigen auszuschließen, müssen Sie möglicherweise die Verfassung ergänzen. Solche Anträge wären in den Heimatländern der Zuwanderungswilligen zu stellen, natürlich in Ländern, wo eine Ausreise ganz legal möglich ist. Wenn dann das Kontingent erschöpft ist und eine Ausreise unterbleibt, droht dann keine Bestrafung. Sie konstruieren hier ein Scheinproblem und sollten nicht verkrampft die Historie bemühen.

Mit ihrem Zurückweichen in Sachen Asyl hilft doch die SPD letztlich immer wieder der Union, die ja ohne die Welle der Ausländerfeindlichkeit noch weniger Chancen bei Wahlen hätte.

Diese Einschätzung teile ich nicht. Beide große Parteien verlieren in der aufgeheizten Asyldebatte. Der Druck ist so ungeheuer groß, daß es schwierig ist, in dieser Situation Rationalität zu bewahren und durchzusetzen. Da beziehe ich mich selbst ausdrücklich ein. Die SPD glaubt mit dem Vorstandsbeschluß mit dieser Drucksituation fertigwerden zu können. Daß dies die richtige Strategie ist, bestreite ich in den Grenzen, die ich hier genannt habe.

Werden Sie auf dem SPD-Sonderparteitag für Ihre Position kämpfen?

Das wird so sein. Wenn ich Länderlisten und eine Verfassungsänderung, nur um mit falschen Angaben zur Person fertigzuwerden, für falsch halte, muß ich doch dafür eintreten, daß diese Punkte in dem endgültigen Beschluß nicht mehr auftauchen. Interview: Jürgen Voges