Immobilien aus Schrott

■ Mehr als zwei Millionen Altautos werden allein in diesem Jahr zum Schrotthändler gefahren oder am Waldrand wild abgestellt. Bundesumweltminister Töpfer fordert: Autohersteller sollen ihre Rostlauben...

Mehr als zwei Millionen Altautos werden allein in diesem Jahr zum Schrotthändler gefahren oder am Waldrand wild abgestellt. Bundesumweltminister Töpfer fordert: Autohersteller sollen ihre Rostlauben wiederzurücknehmen.

VON MANFRED KRIENER

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as ist das? 750 Kilo Eisen, Stahl und Metalle, 120 Kilo Kunststoffe, 90 Kilo Gummi, 40 Kilo Glas, 20 Kilo Textilien, 10 Kilo Holz und Pappe, 15 Kilo Lack, 3 Kilo Wachs, zehn verschiedene Restflüssigkeiten und 25.000 Kilo Abfälle, die bei der Produktion entstanden sind. Der hochbrisante Rohstoff- Mix, irrtümlich Blech genannt, existiert derzeit weltweit rund 600 Millionen mal, er stinkt, raucht und hupt, wird samstags gebadet, hat vier gummierte Beine, steht immer öfter im Stau und ist hochgradig libidinös besetzt.

Richtig: Es ist das Automobil, das meistgehaßte und meistgeliebte Vehikel auf Gottes Erdboden. Verkehrstote, Waldsterben, Raserei und Straßenbauorgien, Lärm, Streß und Stau gibt es schon im langen automobilen Sündenregister, in den letzten Jahren ist der Schrott dazugekommen. Die letzte Fahrt der Autos, zum Schrotthändler oderzum wilden Begräbnis am Waldrand, wird zunehmend zum Problem.

Deponieraum ist knapp und teuer, gleichzeitig steigt die Zahl der ausgemusterten Altfahrzeuge rapide an. Das Auto-Recycling ist unterentwickelt, für viele Reststoffe bleibt nach dem Shredder nur der große Müllhaufen. Zudem sind die Überreste der Autos mit vielen Giftstoffen belastet. In dieser Situation soll jetzt das Verursacherprinzip angewendet werden und für Abhilfe sorgen: Die Automobil-Industrie soll die Altfahrzeuge zurücknehmen. Der Gesetzentwurf von Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der die Hersteller der chromblitzenden Karossen zur Rücknahme der Rostlauben verpflichten will, liegt vor und wird Ende des Monats in Bonn von den Verbänden erörtert. Mitte nächsten Jahres soll er in Kraft treten. Zuletzt wurden jährlich 2,6 Millionen Altautos (Stand 1990) zum Schrotthändler gefahren. Der kassiert dafür durchschnittlich 150 Mark pro Auto. Motor, Getriebe, Achsen, Räder und andere Karosserie- und Ausstattungsteile, die sich verkaufen lassen, werden von ihm entfernt. Das ausgeschlachtete Wrack wird anschließend zu einem rund ein Kubikmeter großen Schrottpaket zusammengedrückt und im nächsten Schritt vom Shredder in nur wenige Zentimeter große Teile zerhackt. Die Stahl- und Metallteile, 75 Prozent der Gesamtmenge eines Autos, werden im sogenannten Abscheider aussortiert. Sie wandern als Sekundär-Rohstoffe in Stahl- und Umschmelzwerke. Der übrige Abfallmix aus dem Shredder, ein giftiger Cocktail aus verschiedenen Kunststoffen, Glas, Gummi, Lack, Benzin, Öl landet auf der Mülldeponie — pro Jahr nicht weniger als eine halbe Million Tonnen.

Auto-Rücknahme gilt nur für Neufahrzeuge

Durch den immer höheren Kunststoff-Anteil der Autos ist in den letzten Jahren auch der problematische Rest-Abfall immer voluminöser geworden. Und ein Ende der Substitution von Eisen und Stahl durch Nicht- Eisenmetalle und leichte, billige Kunststoffe ist nicht in Sicht. Derzeit bestehen schon 12,5 Prozent eines Autos aus Kunststoff, im Jahr 2000 könnten es 18 Prozent sein. Wenn es nach Töpfers geplanter Rücknahmeverpflichtung geht, ist die Entsorgung dieser Kunstoffabfälle sowie die gesamte Altauto-Verwertung künftig das Problem der Industrie. Analog zu ihrem bisherigen Vertriebssystem sollen die PKW-Hersteller ein flächendeckendes Netz von Rücknahmestellen einrichten und dort die Altwagen ihres Fabrikats — keine anderen — kostenlos in Empfang nehmen. Auch die Lieferanten von Zubehör-Erotik, von Spoilern, Austausch- und Ersatzteilen, müssen die alten Teile des Endverbrauchers an ihren Verkaufsstellen zurücknehmen. Hört sich gut an.

Doch leider gilt die kostenlose Rücknahme nicht für jene 36 Millionen PKWs, die derzeit durch Deutschland fahren. Sie gilt nur für Neufahrzeuge, die nach Inkrafttreten der Rücknahme-Verpflichtung zugelassen wurden. Die Besitzer der heutigen Autoflotte müssen den Differenzbetrag zwischen dem Wert ihres Altautos und den Entsorgungskosten bezahlen: je nach Fahrzeugtyp und Zustand etwa zwischen 50 und 200 Mark, so die Schätzung des Verbandes der Automobilindustrie.

Was wird nun die Industrie mit den zurückgelieferten Altautos anstellen? Wie kann sichergestellt werden, daß eine weitgehende stoffliche Verwertung, womöglich gar eine Kreislaufwirtschaft in Gang kommt? Töpfers Verordnung, so ist zu befürchten, wird dies nicht leisten können. Eine Kreislaufwirtschaft erscheint schon deshalb utopisch, weil selbst von den derzeit recycelten Stoffen immer nur ein bescheidener Anteil bei der Neuherstellung Verwendung findet. Die Beimischungsquote übersteigt in den seltensten Fällen 20 bis 30 Prozent. Zudem sind viele Kunststoffe nicht recycelbar. Und die Sekundärrohstoffe wandern oft in andere Märkte. So landet recycelter Autostahl etwa auf dem Bau.

Die Abgasreinigung erwies sich als Flop

Die stoffliche Verwertung wird in dem Paragraphenwerk zwar vorgeschrieben, aber nur soweit sie „technisch möglich“ ist. In Paragraph 6 werden konkrete Quoten für die Wiederverwendung beziehungsweise stoffliche Verwertung bis zum Jahr 1996 genannt, die „anzustreben“ seien. Bei Kunststoffen sind dies lediglich 20 Prozent, bei Reifen zehn, bei Glas 30, bei Nichteisenmetallen 85 und bei Stahl 100 Prozent. Und der nicht verwertbare Rest? Er wird wie bisher auf die Deponie wandern oder „thermisch verwertet“ werden.

Die sogenannte thermische Verwertung der Kunststoff-Komponenten aus Altautos ist nichts anderes als ihre Verbrennung. Der Heizwert der Kunststoff-Abfälle ist hoch und mit dem Ausgangsprodukt Erdöl vergleichbar. Bei der Verbrennung könnte deshalb Energie erzeugt werden. Doch die Emissionsprobleme solcher Anlagen sind gravierend, bei dem Mercedes-Pilotprojekt in Linz erwies sich die Abgasreinigung als Flop, die Grenzwerte für Blei und Cadmium lagen nach längerem Verbrennungsbetrieb erheblich über den zugelassenen Grenzwerten. Zudem bleibt die Verbrennung, auch wenn sie zur Stromerzeugung genutzt wird, eine Ressourcenvernichtung. Dennoch will der Verband der Automobilindustrie die Option der „thermischen Verwertung“ auf jeden Fall offenhalten. In Töpfers Verordnung müsse sie noch stärker herausgearbeitet werden, fordert der VDA, der sich dafür stark machen will.

Ansonsten scheint der Verband mit Töpfers Gesetzentwurf leben zu können. Die derzeitige Technik der Massenproduktion von Autos mit einer kurzen Lebensdauer von nur zehn Jahren wird nicht in Frage gestellt. Die Langlebigkeit der PKWs wird zwar als anzustrebendes Ziel formuliert, aber ohne zwingende Konsequenz. Auch die weitere Verwendung von Kunst- und Giftstoffen bleibt Ermessenssache der Hersteller. Und über den 25 Tonnen Abfällen, die schon bei der Produktion des Autos entstehen, liegt ohnehin der Mantel der Verschwiegenheit. Dieser Produktionsabfall ist 25mal so groß wie das Altauto, um dessen Entsorgung jetzt gestritten wird.