KOMMENTAR
: Munition für Maastricht-Gegner

■ Auch die Bundesregierung trägt Schuld an den Turbulenzen im Europäischen Währungssystem

Für viele britische und französische Kommentatoren ist die Sache einfach: Die Bundesbank ist schuld an den Turbulenzen im Europäischen Währungssystem. Doch diese Kritik greift zu kurz, die Ursachen liegen zum größten Teil im Wechselkurssystem selbst. Ein System fester Wechselkurse, wie der Mechanismus im EWS, kann nur so lange funktionieren, wie sich die EG- Ökonomien gleichmäßig entwickeln. Denn die Wechselkurse der Währungen, die an den Devisenmärkten frei gehandelt werden, spiegeln die Stärke oder Schwäche der dazugehörigen Volkswirtschaft wider. Der Wechselkurs zwischen zwei Währungen muß sich daher ändern, wenn sich die Wirtschaften der dahinterstehenden Länder unterschiedlich entwickeln, was in der Europäischen Gemeinschaft seit einiger Zeit der Fall ist. Deutschland (West) erlebte zunächst nach der Wiedervereinigung einen Boom, während die meisten anderen europäischen Länder in die Rezession gerieten. Seither gibt es Gründe, die für eine Aufwertung der D-Mark sprechen.

Interessanterweise kommt der Aufwertungsdruck jedoch erst jetzt als Folge des Dollarkursrutsches — zu einem Zeitpunkt, an dem das bundesdeutsche Wirtschaftswachstum gegen null tendiert und die Staatsverschuldung enorm gestiegen ist. Das Haushaltsdefizit wiederum zwingt die Bundesbank dazu, mit hohen Zinsen die D-Mark zu verteuern, um einer Inflation vorzubeugen. Sie hätte die Zinsen wahrscheinlich längst wieder gesenkt — wenn die Bundesregierung sich endlich solidere Lösungen zur Finanzierung der deutschen Einheit einfallen ließe, als immer neue Kredite aufzunehmen. Durch die hohen deutschen Zinsen ist die Mark momentan teurer, als aufgrund der Wirtschaftsentwicklung gerechtfertigt ist.

Auf die europäische Anklagebank gehört daher neben der Bundesbank auf jeden Fall die Bundesregierung. Sie hätte bereits am Sonntag bei der ersten Wechselkursanpassung im EWS einer Aufwertung der D-Mark zustimmen müssen. Schließlich ist nicht einzusehen, wehalb alle anderen großen EG- Länder für die dilettantische Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mit dem Wert- (und Prestige-)verlust ihrer Währungen bezahlen sollten. Entgegen ihrer anderslautenden Rhetorik tun sie jedoch genau das relativ freiwillig. Im Währungsausschuß hätten ja alle Europäer gemeinsam darauf dringen können, die einheitsfixierten Deutschen mit ihrer D-Mark „vorübergehend aus dem Wechselkursmechanismus zu entlassen“ anstelle des Pfundes und der Lira. Denn die Abkopplung und Abwertung hat den Vorteil, daß italienische und britische Waren auf den Exportmärkten sehr viel günstiger angeboten werden können, und die heimische Wirtschaft profitiert.

Außerdem verhindert das Maastricht-Referendum in Frankreich jede vernünftige Neuordnung der EWS-Wechselkurse. Mit Blick auf den kommenden Sonntag befürchten die EG-Regierungen, daß eine Abwertung des Franc oder eine Aufwertung der D-Mark automatisch ein Nein der Französinnen und Franzosen zu den Maastricht-Verträgen nach sich ziehen würden. In dieser Angst übersehen sie allerdings, daß sie gerade durch ihr hilfloses Lavieren den Maastricht-Gegnern die besten Argumente liefern: Wenn schon heute die Zusammenarbeit im EWS so schlecht funktioniert, wie wird dann erst eine vertraglich geregelte Währungsunion aussehen?

Die Maastrichter Verträge zementieren den Geburtsfehler der EG, nur eine Wirtschafts-, aber keine politische Gemeinschaft zu sein. Die nationalen Regierungen, weitgehend unbehelligt von europaparlamentarischer Kontrolle, bleiben weiterhin die Akteure in der EG. Daß diese Regierungen keinen Millimeter über die Grenzen des eigenen Landes hinausschauen können, zeigen die Brüsseler Krisensitzungen von Sonntag und Mittwoch nacht, deren Ergebnisse nach alter EG-Manier jeweils der kleinste gemeinsame Nenner waren. Nutznießer dieser chaotischen Politik, die eben keine ist, sind die Devisenspekulanten. Bei hohen kurzfristigen Zinsen und starken Kursschwankungen profitieren sie allemal. Je länger die Turbulenzen dauern, um so größer aber wird der Schaden für die Wirtschaften aller EG-Länder. Denn starke Währungsschwankungen erhöhen die Transferkosten der Waren auf jeden Fall. Donata Riedel