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GASTKOMMENTARKein unbedingter Verlaß

■ In der SPD wächst die Bereitschaft, das Asylgrundrecht als Individualrecht abzuschaffen

Was waren das noch für Zeiten, als die CDU nicht mehr verlangte als eine Ergänzung des Artikels 16, um dem angeblich so massenhaften „Mißbrauch“ des Asylrechtes vorzubeugen. Als es nur der bayerische Innenminister Stoiber war, der barsch die Umwandlung des Asylgrundrechtes in ein staatliches Gnadenrecht forderte, während der Kanzler höchstselbst in Bonn versicherte, einem, der vor Verfolgung zu fliehen gezwungen sei, solle das Bleiberecht nicht bestritten werden.

Gestern noch schien es, als ob die SPD in Petersberg dort angekommen sei, wo die CDU noch vor einem Jahre stand. Heute schon steht aber zu befürchten, daß die Genossen — von rühmlichen Ausnahmen abgesehen — unter dem Druck der CDU dabei sind, auch die letzten Hemmungen zu verlieren. Oskar Lafontaine blieb es vorbehalten, im Windschatten der CDU öffentlich für die Abschaffung des Asylgrundrechtes als eines Individualrechtes zu plädieren. Ob er in asylrechtlichen Angelegenheiten fachlich kompetenter ist als in Besoldungsfragen in eigener Sache, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn das Wesentliche scheint er instinktiv begriffen zu haben: Die Einhaltung der Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention, die von der CDU und den Lafontaines jetzt als Auffanglinie propagiert wird, kann von keinem Betroffenen als Individualrecht eingeklagt werden. Das unterscheidet den Artikel16 eben gerade von der völkerrechtlich begründeten staatlichen Selbstverpflichtung im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention. Der politische Kern, auf den sich nunmehr die Lafontaines auch in den Reihen der SPD zuzubewegen scheinen, besteht jetzt in der Maxime: In Zukunft soll es Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nur noch dann gestattet sein, die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Bleibewünschen zu behelligen, wenn dies der Bundesrepublik ins Kalkül paßt. Da kann ein individualrechtliches Asylrecht in der Tradition des Artikels 16 in der Tat nur stören.

In einem Punkt allerdings schafft das, was die CDU und die von ihr vor sich Hergetriebenen in der SPD jetzt unisono fordern, dankenswertere Klarheit: Die leeren Versprechungen, es gehe allein darum, den Armutsflüchtlingen den Weg zugunsten der real Verfolgten zu verstellen, entpuppen sich jetzt als die Heuchelei, mit der wir es hier schon immer zu tun gehabt haben. Die falsche Behauptung, zwischen 90 Prozent und 95 Prozent aller Flüchtlinge machten dann Bleiberechte geltend, die ihnen real nicht zustünden, noch bis vor kurzem lautstark verbreitet, hat ihre Schuldigkeit getan. Jetzt geht es ohne Wenn und Aber und ohne lästige politische Ablenkungsmanöver um die Abschaffung des Bleiberechts selbst.

Der Meinungswandel der Petersberger in der SPD zwingt zu der Feststellung, daß auch auf die SPD als Volkspartei kein unbedingter Verlaß ist, wenn es in bedrängter Lage um die Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaates geht. Wie wäre es sonst zu erklären, daß die Bereitschaft, mit der CDU über den Artikel 16 zu reden, nicht zumindest von der Bedingung abhängig gemacht wurde, die laufende parteipolitische Asyldebatte so lange auszusetzen, bis der staatliche Schutz von Flüchtlingen vor den Pogromversuchen von rechts, die wir gegenwärtig allnächtlich erleben, politisch effektiver und energischer als bisher ins Werk gesetzt wird.

Herr Schönhuber und die Seinen haben allen Grund zum Jubeln: Sie treiben mit ihrem ausländer- und flüchtlingsfeindlichen Geschrei die CDU vor sich her, und die CDU treibt mittlerweile die SPD vor sich her — die Politik des Rechtsextremismus könnte wahrlich nicht erfolgreicher sein. Zumindest faktisch droht in Bonn — vom Asylrecht bis zum großen Lauschangriff — gegenwärtig eine große Koalition des kleinsten gemeinsamen, populistischen Nenners. Eine solche Koalition könnte nichts Effektives für die Sicherung der Demokratie und gegen die Schönhubers bewirken — im Gegenteil, sie würde die weitere Stärkung des politischen Rechtsextremismus zur Folge haben. An einer solchen Entwicklung dürfen aber gerade demokratische Volksparteien, die Wert auf ihre Zukunft legen, kein Interesse haben. Rupert von Plottnitz

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