: Grundrecht oder Genfer Flüchtlingskonvention?
■ Die Genfer Flüchtlingskonvention im Grundgesetz würde den Rechtsschutz von politisch Verfolgten schwächen
Der Vorschlag, das Asylgrundrecht des Art. 16II 2 Grundgesetz zu streichen und durch Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu ersetzen, schränkt den Rechtsschutz von politisch Verfolgten erheblich ein. Zwar geht die GFK in der Definition des Begriffs der politischen Verfolgung teilweise weiter als das Asylgrundrecht. Andererseits garantiert Art.16 II 2 Grundgesetz in Verbindung mit der Rechtsschutzgarantie des Art.19 IV Grundgesetz, daß ein Asylbegehren in der Bundesrepublik individuell überprüft wird. Eine Zurückweisung ohne vorherige Überprüfung kann nicht mit dem Argument erfolgen, daß der Asylsuchende bereits durch einen anderen Staat gereist sei, in dem er Asyl hätte beantragen können. Dies läßt die GFK aber zu. Zwar ist es überwiegende Meinung im internationalen Flüchtlingsrecht, daß auch die Bestimmungen der GFK eine individuelle Prüfung des Asylbegehrens erfordern. Diese Überprüfung muß aber nicht unbedingt in dem Land erfolgen, in dem der Flüchtling um Asyl nachsucht. So ist es etwa Praxis der skandinavischen Staaten, daß Asylsuchende, die über Deutschland oder Polen eingereist sind, dorthin ohne Überprüfung des Asylbegehrens zurückgeschickt werden. Die GFK verbietet in Art.33, daß Flüchtlinge — und vorwirkend bis zur Entscheidung über den Asylantrag auch Asylbewerber — in ein Land zurückgewiesen werden dürfen, in dem ihnen politische Verfolgung droht. Ebenfalls untersagt ist die Zurückschiebung in ein Drittland, wenn dort der Flüchtling vor einer weiteren Abschiebung in das Verfolgerland nicht sicher ist. In der Praxis wird aber selten geprüft, wie es um den Rechtsschutz im Drittland bestellt ist. So hat auch Schweden iranische Asylbewerber in die Türkei zurückgeschoben, obwohl immer wieder Zurückschiebungen von iranischen Flüchtlingen aus der Türkei in den Iran mit anschließenden Menschenrechtsverletzungen dokumentiert wurden sind.
Der Verweis auf eine Überprüfung in einem anderen Staat läßt außer acht, daß die Verfahrensgarantien in den einzelnen Vertragsstaaten der GFK weit voneinander abweichen. Zwar fordern die Empfehlungen des Exekutivkomitees des Hohen Flüchtlingskommissars bestimmte Mindeststandards für die Durchführung eines Asylverfahrens. Im Exekutivkomitee sind über 40 Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, vertreten. Seine Empfehlungen ergehen einstimmig. Sie werden als verbindliche Empfehlungen des internationalen Flüchtlingsrechts angesehen. Leider werden sie von vielen Vertragsstaaten nicht genügend beachtet.
Die GFK kann den Rechtsschutz von Flüchtlingen erst sichern, wenn mindestens drei der Standards, die in den Empfehlungen des Exekutivkomitees enthalten sind, eingehalten werden:
1.Eine individuelle Überprüfung eines Asylantrags durch eine fachlich kompetente Stelle.
2.Die Überprüfung einer negativen Entscheidung durch eine unabhängige und unparteiische zweite Instanz.
3.Aufenthaltsrecht während des Verfahrens.
Obwohl diese Empfehlungen als verbindlich gelten, werden sie oft nicht eingehalten. So hat amnesty international Fälle dokumentiert, in denen in Italien der Grenzschutz somalischen Flüchtlingen den Zugang zum Asylverfahren verweigert hat. Die Gruppe von 20 somalischen Flüchtlingen wurde nach Mogadischu zurückgeschickt — alle wurden inhaftiert, zehn von ihnen kamen in der Haft ums Leben.
Wenn diese Empfehlungen mit der GFK verfassungsrechtlich verankert werden, dann ist der Kernbereich des Rechtsschutzes, der Flüchtlinge durch Art.16 II 2 Grundgesetz zur Zeit gewährt wird, erfüllt. Eine bloße Ersetzung des Asylgrundrechts durch die Genfer Flüchtlingskonvention ohne verbindliche Einbeziehung der Mindeststandards des internationalen Flüchtlingsrechts für die Durchführung von Asylverfahren würde den Rechtsschutz von politisch Verfolgten aber erheblich einschränken. Wolfgang Kienz (amnesty international)
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