„Man will uns verrückt machen“

■ Für Frankreichs Maastricht-Gegner ist die EWS-Krise kein Beweis für die Notwendigkeit der Union

Drei Tage vor der französischen Volksabstimmung über Maastricht versuchen Anhänger und Gegner des Einigungsvertrages, die Turbulenzen auf den Geldmärkten jeweils in ihrem Sinn zu interpretieren. Falls Frankreich am Sonntag nein sagt, „wird das Europäische Währungssystem eine schwere Krise durchmachen“, warnte Premierminister Bérégovoy auf einer Wahlkampagne der Befürworter von Maastricht. „Ich will keinen Druck auf das Gewissen der Wähler ausüben, aber ich will auch nicht, daß sie mir später vorwerfen, ich hätte sie nicht gewarnt“, sagte der Regierungschef im Pariser Vorort Creteil und übte sich weiter in Dialektik: Die aktuellen Turbulenzen seien nicht „alle auf das Referendum zurückzuführen, obwohl dieses schwer wiegt“. Ähnlich wie Bérégovoy argumentierte auch der liberalkonservative Oppositionsführer und Ex-Präsident Giscard d'Estaing. Er sagte bei seinem letzten Auftritt zugunsten von Maastricht: „Die derzeitige Zuspitzung der Währungskrise zeigt die Grenzen der jetzigen Situation. Das EWS ist anfällig, und nicht einmal die stärksten Währungen können das Gleichgewicht des Systems gewährleisten. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich zur Währungsunion übergehen.“

Hochkonjunktur haben nur die Demoskopen

Max Gallo, Europaabgeordneter und einer der wenigen Maastricht- Gegner unter den Sozialisten, bezeichnete es als Skandal, daß die aktuelle Krise auf die Unsicherheit vor der französischen Abstimmung zurückgeführt werde. „Man will uns Franzosen verrückt machen, das ist Propaganda.“ Die Krise sei absolut kein Beweis dafür, daß Europa eine Währungsunion brauche. Der konservative Maastricht-Gegner Philippe Séguin sieht ebenfalls keinen Grund für die Einheitswährung. Die Herabsetzung der Leitzinsen durch die Bundesbank sei eine „posthume Entscheidung“ gewesen, die demnächst nicht mehr möglich sei, sagte er in einem Interview. „Wenn Italien oder Großbritannien morgen noch spezifische Probleme haben sollten, wird es nicht mehr möglich sein, mit solchen Anpassungen zu helfen, und das wäre sehr schädlich. Die Rigidität, die das System der Einheitswährung einführt, wird nicht mit monetären Anpassungen bezahlt werden, sondern mit Arbeitsplätzen und Einkommen. Das beweist, daß das System schlecht ist, das man heute für uns vorbereitet“, betonte der frühere Sozialminister. Er protestierte auch gegen die Ankündigung der französischen Regierung, die von der deutschen Bundesbank vorgenommene Senkung der Leitzinsen erst dann nachzuvollziehen, wenn das Ja gesiegt habe. „Das ist Erpressung“, sagt Séguin.

Hochkonjunktur haben dieser Tage nur die Demoskopen. Sie ermitteln ununterbrochen, wie sich die einzelnen Geschehnisse auf die Wahlabsichten der Franzosen auswirken. Die Ergebnisse erhalten allein die Auftraggeber, vor allem Parteien, Medien und Unternehmer. Ihre Veröffentlichung ist in der letzten Woche vor dem Referendum verboten. An der Börse werden sie dennoch gehandelt. Bettina Kaps, Paris