Das Einrad erobert die City

■ Gewagte Balanceakte reizen nicht nur professionelle Akrobaten: Das skurrile Vehikel ohne Licht und Klingel wird immer beliebter. Stetes Üben macht den Meister

: Das skurrile Vehikel ohne Licht und Klingel wird immer beliebter. Stetes Üben macht den Meister

Immer öfter im Hamburger Straßenverkehr: Einradfahrer. Skeptisch beäugt und manchmal bewundert, kurven diese Exoten unter den Drahtesel-Benutzern geschickt um jedes Hindernis. Im absoluten Gleichgewicht sitzen sie fest im Sattel — wenn sie denn mit dem Einrad umgehen können.

Darin liegt das Problem vieler Freizeit-Akrobaten. Sie überschätzen ihre Fähigkeiten und müssen dann, ängstlich an Laternenmasten oder Schilder geklammert, hämische Kommentare gerade noch zur Seite gesprungener Fußgänger über sich ergehen lassen. Ganz zu schweigen von der unermeßlichen Schwierigkeit, wieder ins Rollen zu kommen.

Der Umgang mit dem „impossible wheel“ will gelernt sein. Bis zu Höchstleistungen, wie die des Amerikaners Steve McPeak, der im November 1980 mit einer 33 Meter hohen „Giraffe“ fuhr (einem 40000 Mark teuren Hochrad), ist es ein weiter Weg. Auch hier gilt: Möglichst früh mit dem Üben anfangen. So sind es vor allem Kinder, die begeistert durch die Straßen fegen und mit ihrem dritten Bein, dem schnellen, wendigen Einrad, geradezu verwachsen scheinen.

Probleme anderer Art macht das Gesetz. Ist das Einrad ein Fahrrad? Es hat weder Klingel noch Licht. Doch selbst wenn der findige Radler sein Vehikel mit diesen beiden vorgeschriebenen Dingen ausstattet, gilt sein einrädriger und damit unsicherer fahrbarer Untersatz eher als „Spielzeug“. Er muß sich sogar gefallen lassen, in einen Topf mit Skateboard-Fahrern geworfen zu werden. Schlimmer: Das Einrad darf deshalb nur auf Privatgrundstücken und in Spielstraßen in Bewegung gesetzt werden. Es sei denn, der Freizeit-Akrobat benutzt es für seine Auftritte. Dann nämlich gilt es als künstlerisches Medium und genießt freie Fahrt.

Tourentauglich scheint das Einrad auch aus naheliegenderen Gründen nicht zu sein. Es fehlt der Gepäckträger. Ein vollbepackter Rucksack verlagert das Gewicht ungünstig und das Halten des Gleichgewichts wird zum kräftezehrenden Balanceakt. Ein zusätzlicher, ausgleichender „Bauchsack“ könnte lächerlich aussehen. Darüber hinaus: Irgendwann wird er dem Radler auch zu schwer.

Der Einrad-Tourenrekord wird seit Jahren ebenfalls von Steve McPeak gehalten: Er fuhr bereits 1969 von Chicago nach Las Vegas. In 43 Tagen legte er 3700 Kilometer zurück und schaffte eine Rekord-Tagesetappe von 300 Kilometern in 23 und einer halben Stunde. Zwei Drittel der Gesamtstrecke bewältigte McPeak auf einer vier Meter hohen „Giraffe“.

Der Anfänger sollte sich nicht ganz soviel zutrauen. Damit er es richtig macht, gibt es zwei Lehrbücher, die leicht verständlich die Kunst des Einradfahrens vermitteln. In der edition aragon ist soeben die zweite Auflage des Buches „Die Kunst des Einradfahrens“ von Björn Dinklage und Bettina Bardell erschienen. Auf 100 Seiten erklärt es die wichtigsten Grundbegriffe und gibt gute Tips. Es kostet 16,80 Mark. Sebastian Höhers Buch „Einradfahren — Vom Anfänger zum Könner“ ist bei rororo Sport erschienen und kostet 13,80 Mark. Seine Zielgruppe sind eher die zukünftigen Akrobaten als die tagtäglichen Einrad-Fahrer. Torsten Schubert