Das Ende des erhobenen Zeigefingers

■ Erster bundesweiter Erfahrungsaustausch über Jugendarbeit in der rechten Szene

Wie muß ein Sozialarbeiter reagieren, wenn seine Gruppe „Türkenklatschen“ spielen will? Wann ist die Androhung von Gewalt eine Provokation, und wann ist sie ernst? Wie erlangt man das Vertrauen von Jugendlichen aus der rechten Szene?

Zu einem Meinungsaustausch über diese und andere Fragen trafen sich von Mittwoch bis Freitag im Lidice-Haus in Bremen-Nord über dreißig Jugendarbeiter/-innen. Das Fazit, das vor allem die beiden an der Tagung teilnehmenden Wissenschaftler Kurt Möller (Esslingen) und Franz Josef Krafeld (Hochschule Bremen) gestern über „Projekte in rechten Jugendszenen“ zogen: „Je mehr man die Jugendlichen stigmatisiert, desto weiter werden sie in die rechten Kreise getrieben.“

Dagegen setzen die Pädagogen auf akzeptierende Jugendarbeit, daß heißt vor allem: „Man kann nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger auf die Jugendlichen zugehen, da blockieren die sofort.“ Der erhobene Zeigefinger sei das pädagogische Pendant zum hilflosen Antifaschismus. „Wir müssen den Jugendlichen dagegen zeigen, daß wir sie akzeptieren, wie sie sind.“

Die Ursachen für die „rechten Affinitäten“ der Jugendlichen lägen in „tiefgreifenden Vereinzelungserfahrungen“, die sie durchgemacht haben. Die „Gleichgültigkeit“, die sie bei der Anwendung von Gewalt empfänden, resultiere aus einer Gleichgültigkeit der eigenen Person gegenüber, die sich auch zunehmend in Autoaggressionen und Drogenkonsum niederschlagen würde. „Jugendliche werden heute prinzipiell nur noch als Problemgruppe wahrgenommen, dabei sind sie die Hoffnungsträger für die kommende Gesellschaft“, kritisierte Möller. In der akzeptierenden Jugendarbeit gehe es dagegen in erster Linie darum, positive Erfahrungen zu vermitteln. „Die Jugendlichen sollen mitbekommen, daß jemand für sie da ist.“

„Die Jugendarbeit beschäftigt sich mehr mit Problemen, die die Jugendlichen machen, anstatt sich um die zu kümmern, die sie haben“, kritisierte auch der Bremer Hochschullehrer Franz Josef Krafeld. Tatsächlich läge der größte Teil der Probleme in der Erwachsenenwelt, die sich dann natürlich auch auf die Jugendlichen niederschlügen. „Eigentlich bräuchten wir Stammtisch-Pädagogen“, erklärte Möller.

20 Jugendarbeitsgruppen mit rechtsorientierten Jugendlichen haben Möller und Krafeld im alten Bundesgebiet ausgemacht, etwa noch einmal so viel dürften es im Gebiet der ehemaligen DDR sein. „Nach neuen Untersuchungen müssen wir aber davon ausgehen, daß zwischen 30 und 40 Prozent der Jugendlichen im Alter von 16 Jahren Bestandteile von rechten Ideen gutheißen“, schätzt Möller.

Einfach zeigen, daß jemand da ist und zuhört. So simpel diese Erfahrungen zu sein scheinen, so neu sind sie in der Jugendarbeit. Die „Sozis“, Sozialarbeiter kommen in den meisten jugendlichen Biographien vor. Skepsis ist daher oberstes Verhaltensgebot. Trotzdem „muß man den Jugendlichen das rechte Etikett abziehen und hinter die Fassade gucken.“

„Das sind nicht alles kreischende Monster, wie man sie in der Presse sieht“, erzählt Thomas S. aus seiner Heimatstadt. Die Erfahrung der Jugendlichen, daß man durchaus auch gemeinsame Interessen haben kann, ließen die politischen Unterschiede in den Hintergrund treten.

Die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen wird nach Ansicht Krafelds bei weitem überschätzt. „Auch die Gewalt gegen Kinder ist gestiegen, da wundern wir uns, warum die Jugendlichen zurückschlagen“, erläuterte er.

Das Mittel dagegen: Jugendarbeit darf nicht länger nur Krisenintervention sein, sondern muß präventiv einsetzen. Eine Gefahr für die Stabilisierung rechten Gedankengutes sehen die beiden Wissenschaftler übrigens nicht. „Überall kann natürlich mal etwas schiefgehen“, räumt Krafeld ein, „aber wir haben den Juendlichen gegenüber gar keine andere Chance mehr.“

mad