Die Sehnsucht nach der femme fatale

■ Asta meets Marlene: Zwei Ausstellungen für Marlene Dietrich und Asta Nielsen zeigen, wie man seinen Stars gedenken kann

Ein einziges Originaldokument ist in der Weißenseer Marlene- Dietrich-Ausstellung zu bestaunen. Es ist eine Postkarte. Darauf steht mit Filzstift in roten Großbuchstaben geschrieben: »Glauben Sie nie, was in den Zeitungen steht! Viele Grüße, Marlene.« Und doch ist der Mythos Marlene undenkbar ohne die Medien. Ohne die Zeitungen, die ihr kunstvoll ausgeleuchtetes Konterfei tausendfach im Laufe der ein halbes Jahrhundert überdauernden Karriere reproduziert haben. Seit der Verfilmung des »Blauen Engels« 1930 bis zu ihrem Tod in diesem Jahr füllen Spekulationen über ihr Leben die Illustriertenspalten. Die Ausstellung in Weißensee trägt dem Rechnung. Zig Glamourphotos, alte Filmprogramme, Zeitungsausschnitte, Filmplakate und bunte Karikaturenzieren den einzigen Ausstellungsraum des Stadtgeschichtlichen Museums in Weißensee.

Viel Marlene, wenig Überblick — das ist der erste Eindruck beim Betreten des Raumes. Die Wände und Vitrinen sind nach dem Horror-Vacui- Prinzip gestaltet, ein Starportrait überlappt förmlich das andere. Gelegentlich ist die Enge so drangvoll, daß die kommentierenden Texte von den Vitrinen halb verstellt werden. All das hätte den Charme eines engagierten Dilettantismus, so als blätterte ein eingeschworener Fan sein Autogrammalbum auf, wäre da nicht der Anspruch der Veranstalter, Marlene Dietrich auf Biegen und Brechen als Berlinerin zu vereinnahmen. In großen Lettern prangt zwischen zwei Filmstreifen das Dietrich-Diktum: »Berlin kann ich nicht vergessen.« Im Ausstellungstitel wird die lokalpatriotische Perspektive noch weiter verengt — »Von Weißensee nach Hollywood«. Ein marginaler Zusammenhang wird zum Konzept: Marlene Dietrich drehte in den zwanziger Jahren in Weißenseer Filmstudios ihre ersten Filme, etwa »Tragödie der Liebe« und lernte dort 1922 den Aufnahmeleiter Rolf Siebert kennen. Ihn heiratete sie ein Jahr später. Soviel zur Bedeutung von Weißensee im Leben der Filmgöttin.

Wäre es nun tatsächlich gelungen, die Dietrich im Berlin der zwanziger Jahre in einer kleinen Ausstellung einzufangen — der Schritt weg von der maskenhaften Hollywood- Mythisierung wäre gelungen. So aber tut die Ausstellung, was schon vor ihr die Illustrierten getan haben. Sie hebt einen erstarrten Mythos ein weiteres Mal aufs Podest.

Ein anderer Filmstar aus längst vergangener Zeit wird derzeit in Potsdam geehrt. Im dortigen Filmmuseum ist bis zum 11. Oktober Asta Nielsen eine Ausstellung gewidmet. Sie trägt schlicht den Namen der Geehrten. Asta und Marlene — Welten liegen zwischen ihnen. Die eine kühl und unerreichbar, der immer gleiche Vamp mit Stil und Esprit, manieriert bis zur Lächerlichkeit: die Dietrich. Die andere eine Phänomen an Wandelbarkeit mit einer schauspielerischen Variationsfähigkeit, die von der dramatischen Femme fatale bis zum netten Mädchen von nebenan reichte: die Nielsen. Die eine gefeiert bis zum hochbetagten Ableben, die andere vergessen mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. Eines hatten sie beide gemeinsam. Sie waren die größten Diven ihrer Zeit. Asta Nielsen gilt als erster Filmstar überhaupt, der nahezu kultisch verehrt wurde. Selbst Greta Garbo erblaßte neidvoll vor dem Phänomen Nielsen: »In der darstellerischen Interpretation, der Ausdrucks- und Wandlungsfähigkeit bin ich im Gegensatz zu ihr ein Nichts.«

Die Potsdamer Ausstellung ist biographisch konzipiert. Die Stationen ihres Lebens sind üppig, aber nicht erschlagend kommentiert und bebildert, in wenigen, schön bestückten Vitrinen ruhen Erinnerungsstücke, das dickleibige Drehbuch zu ihrem Hamletfilm, in dem sie die Hauptrolle spielte. Ein Opernglas, alte Schmuckstücke aus den zwanziger Jahren, pailletenbesetzte Kostüme, die seit mehr als einem halben Jahrhundert in irgendwelchen Schränken verstauben. Wer will, kann alte Nielsen-Briefe lesen, die in zwei Mappen auf ihrem ehemaligen Schreibtisch liegen. Eine humorvolle unprätentiöse Schreiberin wird zwischen den Zeilen sichtbar und vor allem — ein Mensch und kein stilisiertes Kunstprodukt. Auch Briefe, deren Empfängerin sie vor langer Zeit einmal war, sind dort zu sehen. So schrieb etwa Ringelnatz einst an seine »geliebte Asta«.

Zwei Stars, die ihre Anfänge zu Beginn der Stummfilmära erlebten, werden wiederentdeckt — und in zwei Ausstellungen, mit mehr oder minder unverhohlener Liebe gefeiert. Sie sind weit weg vom Alltag heutiger Cineasten, zwei Frauen, die mit der Verkörperung anspruchsvoller Luxusgeschöpfe beim Publikum Göttinenstatus erhielten. Unzeitgemäßer geht's nimmer, sollte man meinen. Und doch ist die Dietrich- Schau gut besucht. Vor dem Fernsehschirm in Weißensee, über den nonstop ein TV-Beitrag über die Schauspielerin flimmert, ist es proppenvoll. Junge Frauen sind es in der Mehrzahl, die sich hier in stiller Andacht versammelt haben. Asta, die weniger göttliche, wird im ferneren Potsdam nur von Eingeweihten beehrt, dafür aber mit großer Aufmerksamkeit. Die Megastar-Ära mit Madonna und Michael Jackson ist vorbei. Die Sehnsucht nach der Femme fatale mit Stil und Kopf ist geblieben. Eine unausrottbare Sehnsucht nach dem Mythos, dem Geheimnis. Eigenwilligkeit als Vorbild. Marion Löhndorf

»Von Weißensee nach Hollywood« im Stadtgeschichtlichen Museum Weißensee, Pistoriusstr.8. Bis 30.11.92, di- do, so, 14 - 18 Uhr.

»Asta Nielsen« im Filmmuseum Potsdam, Marstall. Bis zum 11.10.92, di - so, 10 - 17 Uhr.