"ICH DENKE OFT AN MEINEN MANN"

■ Über zehntausend Einwanderer aus Ghana leben in Deutschland - zu 95 Prozent Männer. Ihre Frauen bleiben in Ghana, werden zu selbständigen Unternehmerinnen und sind ansonsten mit ihren Sorgen allein

Über zehntausend Einwanderer aus Ghana leben in Deutschland — zu 95Prozent Männer. Ihre Frauen bleiben in Ghana, werden zu selbständigen Unternehmerinnen und sind ansonsten mit ihren Sorgen allein.

VONGOLOKOHL

Nana Ama ist eine Institution. Jeden Abend schleppt die 30jährige Ghanaerin, Mutter von 15 Monate alten Zwillingen, ihre Utensilien vor die Einfahrt des Hotels California in Accra, um dort ihren „coffeeshop“ aufzubauen. Ihre brabbelnden Jungen auf dem Rücken, das quängelnde Mädchen im Schlepptau. Nach 15 Minuten sind die Bänke nach draußen geschafft, das Tischchen ist aufgebaut. Diese kleinen Tischchen mit ihren flackernden Ölfunzeln gehören zu Ghana wie Nana zum Hotel.

„No coffee today, only tea“, meint sie heute lächelnd und stellt den Wasserkessel auf ein archaisches Öfchen, in dem Holzkohle vor sich hin kokelt. Während ich ihr Mädchen auf dem Schoß halte, fängt sie an zu erzählen. Zum ersten Mal seit zweieinhalb Monaten. „Europa“, sagt sie und schaut mich an: „Europa!“

„Der Vater der Zwillinge ist seit zwei Jahren in Italien“, erzählt mir der Hotelmanager. Wahrscheinlich irgendwo in Rom, seit zwei Jahren hätte Nana nichts von ihm gehört. Nana selbst redet nicht darüber. Als sie mir den heißen Tee reicht, spreche ich sie zögernd darauf an: „Yes“, meint sie lächelnd und überlegt. „I think about him very often“, ich denke oft an meinen Mann.

Nana Ama ist eine von Zehntausenden ghanaischer Frauen, die ihren Freund oder Ehemann im Ausland wissen. Mit ihren Problemen müssen sie alleine klarkommen. Mit dem Alleinsein, aber vor allem mit der Unsicherheit, ob der Mann wieder zurückkommen wird. Vor allem die Berichte über Ghanaer, die in Deutschland nochmals heiraten, um die begehrte sichere Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, verunsichern die Frauen hier, die zum Teil keine Post oder Nachrichten aus Deutschland bekommen.

1991 wurden in der deutschen Botschaft in Accra 1.500 Eheschließungsanträge zwischen Ghanaern und deutschen Frauen bearbeitet. Nach Aussage eines Sachberaters mit stark steigender Tendenz in diesem Jahr, wohl aufgrund der Verschärfung des Asylrechts in Deutschland.

Gesprochen wird über diese Ängste kaum, und wenn, dann nur von „Frau zu Frau“. Nana Ama, die ich immer nur lächelnd sehe, wird ernst, als ich sie wieder auf ihren Mann anspreche. Aber sie schweigt. Die Familie hilft, sollte der Ehemann oder Vater seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Das Thema selbst ist tabu.

Von den ungefähr 16 Millionen Ghanaern verdienen nach Aussage eines Beamten im ghanaischen Außenministerium wohl an die 350.000 ihr Geld für etliche Jahre im europäischen Ausland oder in den USA. Fast ausschließlich Männer. In Deutschland halten sich zur Zeit schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Ghanaer auf. Da es in Ghana üblich ist, sich frühzeitig zu verheiraten, liegt es nahe zu sagen: 10.000 bis 15.000 Ghanaerinnen haben ihren Mann in Deutschland.

Wir müssen leiden um zu gewinnen

Asantewa Otchere ist eine dieser Frauen, die auf Rückkehr ihres Ehemannes aus Deutschland wartet. Sie kann sich zu den Glücklichen zählen: Kofi Otchere, der seit sechs Jahren in Hamburg ist, schickt regelmäßig Geld, Kleider oder Briefe. Sollte er nach Ghana zurückkommen, ist er ein gemachter Mann. Und von dem Geld, das er nach Ghana schickt, konnte Asantewa ein Haus bauen. Ihre Kinder, die ihren Vater seit sechs Jahren nicht gesehen haben, gehen auf eine teure Schule. „Er hat die Vorteile, die ihm Deutschland bieten würde, der ausweglosen Situation in Ghana vorgezogen. Die wenigen Nachteile hat er in Kauf genommen“, meint Asentewa.

Auf die Frage, was ihr Mann über die sozialen Probleme in Deutschland erzählt, erhalte ich eine ebenso kurze wie bündige Antwort: „Seine Einstellung ist wie meine. Wir müssen leiden, um zum Ziel zu kommen.“ Über den Rassismus in Deutschland weiß sie wahrscheinlich mehr als andere Ghanaer. Aber sie möchte nicht darüber sprechen. Viel würde er ihr nicht über Deutschland schreiben, meint sie. Geldsendungen seien häufiger als Briefe. Ob sie ihn, trotz der finanziellen Vorteile, lieber bei sich hätte? Wieder die gleiche Antwort: „As I already said, one has to suffer to gain.“ In diesem Falle: frau muß leiden, um zum Ziel zu kommen. Die wenigsten der Frauen bekommen ein Flugticket zugeschickt, um wenigstens für kurze Zeit ihre Männer in Deutschland besuchen zu können.

Auch Lisbeth Quansah gehört zu den „glücklichen“ Frauen, deren Mann seinen Verpflichtungen nachkommt. „Ich habe zwar meinen Mann nicht neben mir, aber Geld, um unsere Kinder ordentlich einzukleiden und auf eine gute Schule zu schicken“, sagt sie und deutet auf die Straße. Dort stehen zwei Taxis, die sie von dem Geld aus Deutschland kaufen konnte. Ihr Mann lebt in Hamburg, seit zwei Jahren. Wann er zurückkommt, weiß sie nicht. Auch für Lisbeth Quansah scheint die Unterhaltung sehr peinlich, auf ihre Gefühle angesprochen, weicht sie aus. „Die Leute meinen, ich sollte mich glücklich schätzen“, meint sie.

„Gefühle sind in unserer Gesellschaft unterdrückt“, sagt mein Freund William auf dem Nachhauseweg. „Darüber wird in Ghana normalerweise nicht geredet. Die Leute glauben, du bis zu schwach oder krank. Auch wenn der Eindruck entsteht, daß die Solidarität der Ghanaer sehr stark ist“, sagt der seit zwei Jahren in Oxford studierende Ghanaer, „in unserer Gesellschaft Trost oder Beistand zu finden, ist schwer.“

Dazu kommt noch die hohe Wertschätzung, die ghanaischen Männern entgegengebracht wird, die grünere Ufer im Ausland suchen. Seit 1979 die ersten Ghanaer nach Hamburg migrierten, werden die Heimkehrer, ganz gleich ob sie aus den USA, Großbritannien oder eben Deutschland zurückkommen, in Ghana als „burger“ bezeichnet. Sie sind so etwas wie nationale Helden. Geschichten über die schwierigen Umstände in Deutschland werden schlichtweg ignoriert.

Die ökonomische Bedeutung der „burger“ ist für Ghana nicht zu unterschätzen. Obwohl sich die wirtschaftliche Situation des Landes in den letzten Jahren sichtbar verbessert hat, sind die Autos, Kühlschränke, die diversen Ersatzteile wichtig für Ghana, Zeichen eines gemachten Mannes. Und die „burger“ sind in Ghana gesellschaftlich hoch angesehen, wenn sie nach ihren Jahren im Ausland zurückkommen, egal ob als gemachter Mann oder völlig abgebrannt. Sie stehen für das Streben nach Glück, für Welterfahrenheit und Wohlstand in einer hintergründig materialistisch und männlich dominierten Gesellschaft. Und die Frauen haben stolz zu sein auf ihre Männer und sich mit dem Warten abzufinden.

Deutschland ist für die Ghanaer erst einmal ein Wunderland, das Geld für die Kinder sichert. Die Ghanaer, die nach einigen Jahren aus Deutschland zurückkommen, bringen neben dem erwähnten Wohlstand vor allem ein verzerrtes Bild nach Ghana zurück. Über die Namen deutscher Fußballspieler und die Tabellenstände der Bundesliga wissen die Menschen zwar sehr gut Bescheid, alles andere jedoch verschwimmt im Mythos Deutschland. Die gelegentlichen Berichte ghanaischer Zeitungen über neonazistische Exzesse in Hoyerswerda oder Berlin führten hier eher zu Verwirrung.

Am Ende ihrer Kräfte

Neben der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die Frauen und der hohen Wertschätzung der Migranten scheint vor allem eine Tatsache zum Schweigen der Frauen beizutragen. „Es ist ein Mythos, daß es in der afrikanischen Gesellschaft keinen Streß geben würde“, erzählt mir William, „in Wirklichkeit versuchen die Frauen nur, ihre Streßmomente nicht zu zeigen.“ Einsamkeit und Sorgen werden oftmals nicht als Streßfaktoren anerkannt, meint Dr. Asante, der Oberarzt der Nervenheilanstalt in Accra. Vor allem für Frauen ist es eine gesellschaftliche Verpflichtung, diese zu verstecken, denn Depression und Frustration sind hier nicht als Krankheitssymptome anerkannt. „The women are called crazy“, meint er. „Erst wenn sie wirklich am Ende ihrer Kräfte sind, kommen sie zu mir.“ Von den 2.000 Patienten in seiner Klinik sind gerade mal 500 Frauen.

Eine der Frauen, die ich im Hospital treffe, erzählt mir offen, daß sie von einem Freund erfahren hat, ihr Mann habe sich in Deutschland hinter ihrem Rücken mit einer Deutschen verheiratet. Über 10.000 Mark hätte er dafür bezahlt, und sie habe ohne jede Nachricht fünf Jahre auf ihn gewartet.

Als ich am selben Abend, wieder an Nanas Kaffeetischchen sitzend, von dieser Frau erzähle, meint einer meiner Nachbarn lapidar: „Poor woman. She must be crazy.“