Schwedische AKWs seit 20 Jahren Schrott

■ Hälfte aller AKWs für mehrere Wochen stillgelegt/ Neue Debatte um AKW-Ausstieg

Stockholm (taz) — Fast die Hälfte der 12 schwedischen Atomreaktoren waren in den letzten 20 Jahren trotz schwerer Konstruktionsmängel in Betrieb. Diese Erkenntnis hat die schwedische Atomkontrollbehörde SKI dazu geführt, am Donnerstag fünf Reaktoren bis auf weiteres stillzulegen. Damit fällt schlagartig ein Fünftel der schwedischen Elektrizitätsproduktion für vermutlich mehrere Wochen weg. Auf den Konstruktionsfehler war SKI zufällig im Rahmen der Analyse eines Störfalls im AKW Barsebäck Ende Juli dieses Jahres gestoßen. Damals war durch ein Versehen im Betriebsablauf ein Sicherheitsventil in einem Rohr des Reaktorbehälters geöffnet worden. Ein gewaltsamer Wasserdampfaustritt riß 200 Kilogramm Isolationsmaterial los, das die Einflußöffnungen für die Pumpen des Notkühlsystems verstopfte. Bärsebeck liegt bei Göteburg, unmittelbar gegenüber der dänischen Hauptstadt Kopenhagen.

Für den SKI-Generaldirektor Lars Högerg handelt es sich um den „ernstesten Zwischenfall in meiner zwölfjährigen Dienstzeit“. Hätte sich der gleiche Handlungsverlauf wie in Barsebäck bei einem Störfall ereignet, so Högberg, „wären die Pumpen des Notkühlsystems ausgefallen, weil sie kein Wasser mehr bekommen hätten“. In Barsebäck hat man den Störfall so behoben, daß man Wasser entgegen der normnalen Laufrichtung durch das Notkühlsystem strahlte und so das Isolationsmaterial herauswusch. Högberg: „Bei einem wirklichen Notfall mit einem Rohrbruch im Hauptkühlsystem wäre dies natürlich zeitlich nicht mehr möglich gewesen.“

Von dem Konstruktionsmangel sind alle Siedewasserreaktoren der Firma Asea-Atom aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre betroffen. In Schweden handelt es sich dabei um die beiden Reaktoren in Oskarshamn, einen Reaktor in Ringhals bei Göteborg und die beiden Reaktoren von Barsebäck, gegenüber Kopenhagen. Diese müssen nunmehr so umgebaut werden, daß sich ein ähnlicher Störfall nicht mehr ereignen kann. Von schwedischen AKW- GegnerInnen wurde mit Bestürzung registriert, daß ein derartiger Konstruktionsfehler lediglich durch Zufall nach zwanzig Jahren Betriebsdauer erkannt worden sei. Dänische AKW-GegnerInnen nahmen den in Barsebäck zutage getretenen Störfall zum Anlaß, erneut die Stillegung des in einer besonders bevölkerungsdichten Gegend gelegenen AKWs gegenüber der dänischen Hauptstadt auf der anderen Seite des Öresund zu fordern.

Das von der SKI verfügte umfassende Betriebsverbot kommt zu einer Zeit, in der immer mehr schwedische PolitikerInnen fordern, wieder auf Atomstrom zu setzen. Bereits vor Jahren hatten die Schweden sich per Volksabstimmung als bislang einziges Land mit ausgebauter AKW-Industrie dazu entschlossen, den Energiepfad Atomstrom wieder zu verlassen und alle AKWs bis zum Jahre 2010 wieder abzuschalten. Der Ausstieg ist nach Ansicht der jetzt amtierenden konservativen Regierung zu teuer. Reinhard Wolff