Die Verschuldungskrise des Nordens

■ Die Jahrestagung von IWF und Weltbank in der nächsten Woche wird sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftspolitik der Industriestaaten befassen/ IWF-Manager teilen die Kritik von Initiativen

Berlin/Washington (taz/dpa) — Jedes Jahr im Herbst trifft sich die internationale Großfinanz zum Ritual der Jahresversammlung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Das Treffen der IWF- Gouverneure (das sind die Notenbankpräsidenten und Finanzminister aus 169 Ländern) wird in der nächsten Woche ebenfalls die Vertreter von Geschäftsbanken aus aller Welt nach Washington locken. Keine Großbank, die etwas auf sich hält, versäumt die Gelegenheit des Jahres zur internationalen Selbstdarstellung und Kontaktpflege.

Wie seit den 70er Jahren nicht mehr wird in diesem Jahr die Mammutversammlung wieder zur klassischen Währungskonferenz werden. Die Folgen des Dollarkursverfalls, der noch immer wichtigsten Währung der Welt, und die Auswirkungen der Turbulenzen im Europäischen Währungssystem (EWS) werden die Beratungen dominieren. Und: Zum ersten Mal seit dem Beginn der Entwicklungsländer-Schuldenkrise 1982 teilen die IWF-Manager im Kern zentrale Punkte der Kritik aus der Eine-Welt-Bewegung an den Industriestaaten, wenn auch in der Form moderater.

Das weltweite Währungsgefüge, zu dessen Stabilisierung der IWF auf Betreiben der USA 1944 als Sonderorganisation der UNO gegründet wurde, leidet heute zunehmend unter der Verschuldung der reichen Industriestaaten. Die Nord-Süd-Initiative Germanwatch forderte daher gestern, daß der IWF dem Norden ein ebenso hartes Spar- und Strukturanpassungsprogramm verpaßt, wie er es den Entwicklungsländern abverlangt. Schließlich, so die Begründung, sei die Weltwirtschaft stärker durch die hohen Haushaltsdefizite in den USA und der Bundesrepublik bedroht als von denen der Entwicklungsländer.

Auch wenn IWF-Exekutivdirektor Michel Camdessus diese Kritik im Kern teilt, wird er die Forderung von Germanwatch kaum umsetzen können. Die Entwicklungsländer bekommen schließlich Kredite vom IWF, mit deren Streichung die Finanzorganisation ein Abweichen von ihren Programmen sanktionieren kann. Die Industriestaaten hingegen sind die Geldgeber von IWF und Weltbank. Und weil die Stimmrechte in IWF und Weltbank von der Wirtschaftskraft eines Landes abhängen, bestimmen de facto die sieben reichsten Industriestaaten (G-7; USA, Japan, BRD, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) die Politik der Internationalen Finanzorganisationen allein.

Im Vorfeld der Gouverneursvollversammlung werden sich heute bereits die Notenbankchefs und Finanzminister der G-7 in Washington zum Meinungsaustausch treffen und wie das Kaninchen auf die Schlange nach Frankreich starren: Bei einem negativen Ausgang des Maastricht- Referendums befürchten sie noch schwerere Spannungen in Europa, weshalb sie wohl vorsorglich Termine für eventuelle Krisensitzungen absprechen werden.

Die USA wollen bei den G-7-Beratungen auf die Stärkung des weltweiten Wirtschaftswachstums drängen. Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger wird sich die „Erwartung“ anhören müssen, daß Deutschland seine Zinsen weiter senken sollte, um Wachstumskräfte freizusetzen und Spannungen bei den Wechselkursen zu mindern. Japan hat die Stabilisierung der europäischen Währungen als Thema der G-7 genannt und dabei seine Hilfe angeboten. Nach den Worten von Finanzminister Tsutomu Hata ist Japan bereit zu Stützungsaktionen für das EWS. Aus der staatlichen Bank von Japan verlautete, die Notenbank werde möglicherweise D-Mark gegen Yen verkaufen sowie die unter Druck geratenen europäischen Währungen wie das britische Pfund und die italienische Lira durch größere Käufe stabilisieren. Beobachter erklärten, es sei äußerst ungewöhnlich für einen Finanzminister, Interventionen in den Devisenmarkt anzukündigen.

Eine intensive Aussprache über Fehler und Versäumnisse der Industrieländer in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wird auch Thema des IWF-Interimsausschusses am Sonntag sein. Auch wenn der Name vergänglich klingt: Dieses Gremium, dem stellvertretend für alle Mitgliedsländer 22 Notenbankchefs und (als deren Stellvertreter) 22 Finanzminister angehören, ist zwischen den Jahrestagungen das Entscheidungsgremium. Auf seinen Treffen vor der Vollversammlung entscheidet dieser Klub, welches Land zu welchen Bedingungen Kredite bekommen kann, ob der IWF neue Kredittöpfe einrichtet und wann die nächste Kapitalerhöhung erfolgen muß. Allerdings wird die letzte Kapitalerhöhung seit Monaten vom US-Kongreß verzögert. Die USA verfügen nämlich alleine über eine Sperrminorität im IWF.

Die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Saudi-Arabien haben jeweils einen eigenen Vertreter im Interimsausschuß, alle übrigen Länder müssen sich zu Gruppen zusammenschließen. Die Entscheidungen dieses Gremiums werden von der Vollversammlung nur noch abgesegnet.

Die Diskussionen über die Reformen in Rußland und den osteuropäischen Ländern, die noch die IWF- Frühjahrstagung im April bestimmten, dürften angesichts der Währungsturbulenzen diesmal an den Rand gedrängt werden.

Am Montag dann wird es im gemeinsamen Entwicklungsausschuß von IWF und Weltbank um die Kapitalzuflüsse und Finanzhilfen für die Dritte Welt sowie um ein rechtliches Rahmenwerk für ausländische Investitionen gehen. Der Entwicklungsausschuß ist allerdings nur ein Beratungs- und kein Entscheidungsgremium. Am Dienstag wird die Jahrestagung offiziell eröffnet. Donata Riedel