: „Kein Geld, keine Arbeit, Grenzen zu“
Hessische Christdemokraten schnüren ein „Maßnahmenpaket gegen Asylmißbrauch“/ Nur Grundgesetzänderung löse „Kernprobleme“ nicht/ Wehrpflichtige sollen Grenzen dichtmachen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — Der hessische Landesvorsitzende der Union und Fraktionschef seiner Partei im Landtag, Manfred Kanther, hat gestern in Wiesbaden ein „Maßnahmenpaket gegen Asylmißbrauch“ (CDU) vorgestellt. Zwar sei es zu begrüßen, so Kanther, daß inzwischen auch die SPD ihre Verweigerungshaltung bei der „notwendigen Grundgesetzänderung des Asylrechts“ aufgegeben habe — „doch wehe dem, der Verfassungsänderungen als wesentlichen Lösungsbeitrag der Problematik ausgibt und dann die Erwartungen der Bevölkerung enttäuscht“.
Weil Kanther weiß, daß die Verfassungsänderung alleine — wie auch von der SPD bis zur Petersberger Wende immer behauptet — das angebliche Flüchtlingsproblem nicht wird lösen können, hat die Union „auf der Basis der als Ersatz für den Artikel 16 Grundgesetz von der Bundesrepublik zu übernehmenden Genfer Flüchtlingskonvention“ drastische Vorschläge gegen den „unberechtigten Zuzug“ unterbreitet. Danach soll vor allem die „Attraktivität“ des zeitweisen Aufenthaltes von Flüchtlingen in Deutschland verringert werden. Kanther: „Im ersten Jahr des Aufenthaltes darf es keine Arbeitserlaubnis geben. Die Flüchtlinge erhalten lediglich Unterkunft, zentrale Verpflegung, Sachbezüge und ein sehr kleines Taschengeld.“ Es müsse umgehend geprüft werden, ob nicht das Bundessozialhilfegesetz abgelöst und durch ein „Leistungsbegrenzungsgesetz für Asylbewerber“ ersetzt werden könne.
Damit sich die Menschen vor allem in Ost- und Südosteuropa „erst gar nicht in Richtung Deutschland in Bewegung setzen“ und „unbefugt die Grenzen überschreiten“, schlägt die hessische Union vor, die wirtschaftliche Hilfe für diese Länder von der Bereitschaft abhängig zu machen, die Bundesrepublik bei den Bemühungen um eine „Begrenzung der Zuwanderung“ zu unterstützen. Kanther: „Auch eine allzu nachsichtig gestattete Durchreise zu Lasten Deutschlands ist kein freundschaftlicher Akt unter Nachbarn.“ An den Grenzen zu Polen und der Tschechoslowakei sollen Wehrpflichtige den BGS verstärken, damit ein „unbefugtes Betreten des Bundesgebietes“ wirksamer als bisher verhindert werden könne. Daß der „Zirndorfer Berg“ (Kanther) ein Teil des Problems sei, gestand auch die hessische Union erstmals ein. In einer „Sonderaktion“ aller Bundes-, Länder- und Kommunalverwaltungen müßten umgehend 1.000 Entscheider und Hilfskräfte mobilisiert werden, meinte Kanther. Frührentner bei BGS und Bundeswehr sollten zusätzlich — „durch attraktive Zusatzbesoldung“ — für den Asylverwaltungsdienst gewonnen werden. Und wenn das alles klappen sollte, so Kanther abschließend, dann müsse auch kräftig abgeschoben werden, denn: „Was nützt die Abarbeitung des Antragstaus, wenn die meisten unberechtigten Asylbewerber dann doch in Deutschland bleiben?“ Kommentar der Grünen im Landtag zu den Vorschlägen der Union: „Kanther liebäugelt mit einem neuen Eisernen Vorhang.“
„Fluchtursachen, nicht Flüchtlinge abschaffen“
Berlin (AP/AFP/taz) — Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger hat schnellere Entscheidungen bei Asylverfahren angemahnt. Auf der Juristentagung des ADAC sagte die FDP-Politikerin in Leipzig, die deutliche Mehrheit der Asylsuchenden in Deutschland seien nicht politisch Verfolgte. Deshalb müßten die vorhandenen Gesetze konsequent angewendet werden.
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse will das individuelle Asylrecht im Artikel 16 des Grundgesetzes erhalten. In einem Interview sagte Thierse, am Ende der Diskussion müsse „eine Formulierung im Grundgesetz stehen, die das Recht auf Asyl inhaltlich verteidigt und schützt“. SPD-Bundesgeschäftsführer Blessing hat sich im Streit um ein neues Asylrecht deutlich von Lafontaine abgegrenzt. Die SPD wolle „das Individualrecht auf Asyl erhalten“, aber aus dem individuellen Asylverfahren die Bewerber herausnehmen, die aus Ländern kommen, in denen es keine politische Verfolgung gibt, so Blessing.
Als „Katastrophe für die Menschlichkeit“ hat der Bundesvorsitzende von terre des hommes, Jochen Menzel, die derzeitige Asyldiskussion und die Ausschreitungen gegen Asylbewerber bezeichnet. Die Opfer der Gewalt würden zum Hauptproblem gemacht, sagte Menzel gestern in Bonn. Er forderte die Politiker dazu auf, die Wahrheit über die Fluchtgründe zu sagen und die Ursachen für Flucht, nicht aber die Flüchtlinge abzuschaffen. Die Genfer Flüchtlingskonvention stellt nach Menzels Ansicht keine Alternative zum Asylartikel 16 im Grundgesetz dar. Italien als Unterzeichnerstaat der Konvention habe beispielsweise ungehindert Tausende Albaner mit Waffengewalt abschieben können, ohne daß auch nur deren Fluchtgründe geprüft worden seien.
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