»Man muß um Flüchtlinge betteln«

■ Gisela Singh, Mutter von vier Kindern und selbst mit einem Ausländer verheiratet, bemühte sich vergeblich, bosnische Flüchtlinge aufzunehmen/ »Bürgertelefon« vermittelte nur wenige

Moabit. Gisela Singh* ist eine ganz normale Frau. Mutter von vier Kindern. Hausfrau. Und eigentlich ziemlich unpolitisch. »Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt«, sagt sie und lacht aus ihrem Sessel. Das Radio dudelt auf die Straße des alten Arbeiterbezirks, ihre jüngste Tochter krault die Katze. Alles riecht hier nach gemütlichem Leben, aber Gisela Singh ist stinkesauer — auf die Politiker. »Wenn man uns wirklich helfen lassen würde, dann wäre Rostock nicht passiert«, da ist sie sich ganz sicher.

Frau Singh, eine Kindernärrin, hatte bei der »Aktion Fluchtweg« angeboten, bosnische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Ein oder zwei Kinder oder eine Mutter mit ihrem Nachwuchs. Daß in Berlin keine alleinstehenden Flüchtlingskinder leben, weiß sie inzwischen. Aber daß es auch keine interessierten Mütter gibt, kann sie nicht glauben. Zumal sie von den Behörden, denen die Adressen Hilfswilliger übermittelt wurden, bisher keinerlei konkrete Antwort erhielt. »Kein Nein und kein Ja. Wir wollen helfen, aber uns werden die Hände gebunden«, beschwert sie sich. »Man muß ja förmlich um Flüchtlinge betteln. Die Leute, die helfen wollen, sind völlig frustiert, sie kriegen ja nicht mal irgendwo handfeste Informationen.« Sie hat selbst schon bei mehreren Heimen angerufen, aber auch dort »nur ablehnende Antworten« erhalten. »Man müßte die Politiker alle ansprechen und sie darauf aufmerksam machen, was das für ein Unding ist«, überlegt sie. »Diepgen muß persönlich Stellung nehmen.«

Die Frage ist, ob die Politiker sich überhaupt dafür interessieren, was mit den Hilfsangeboten passiert. Daß die Bilanz der Vermittlungen von Flüchtlingen in Privatquartiere über das beim Deutschen Roten Kreuz eingerichtete »Bürgertelefon« alles andere als berauschend ist, liegt allerdings nicht primär in ihrer Schuld. Weil die meisten Hilfswilligen nur Platz für ein Kind hatten, die bosnischen Vertriebenen aber überwiegend im Familienverband anreisten, sind bisher nur eine Handvoll Flüchtlinge privat untergekommen.

Außerdem, so ein Sozialarbeiter beim »Bürgertelefon«, hätten einige Deutsche ihr Angebot angesichts der zu erwartenden Sprachschwierigkeiten oder der Dauer der Prozedur bereits zurückgezogen. Sicher, die Vermittlung verlaufe »schleppend«. Das liege aber vor allem an den Bezirksämtern, die wegen ihres Personalmangels nicht dazu kämen, die Privatwohnungen zu überprüfen. Das jedoch sei nötig, denn der eine oder andere habe Flüchtlingen ein unbeheizbares Gartenhaus andrehen wollen.

Frau Singh wird das nicht trösten. »Warum dürfen denn nicht so viele Flüchtlinge nach Berlin, wie es Leute gibt, die sie aufnehmen wollen?« fragt sie. »Wenigstens die Frauen und Kinder müßten aus dem Krieg geholt werden. Sollen uns die Politiker mal erklären, warum die UNO die Leute nicht rausholt.« Und die Heimunterbringung, die koste so viele Steuergelder, schüttelt sie den Kopf. »Das alles könnte der Staat billiger haben. Das ist doch völlig verrückt: Die einen werden abgeschoben, und die anderen, die gar nicht wollen, werden ins Asyl gezwungen.«

Gisela Singh redet aus eigener Erfahrung. Denn sie hat einen Ausländer geheiratet, einen Inder. Gemeinsam holten sie eine Verwandte von ihm illegal hierher, ein junges Mädchen, das krank war und einer Spezialbehandlung bedurfte. »Ich habe sie wie meine eigene Tochter aufgezogen«, sagt sie. Doch nach Jahren stellte sich heraus, daß es unmöglich war, ihr einen legalen Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Immer wieder gab es Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde. Der letzte Ausweg war ein — noch laufender — Asylantrag. Folge: das junge Mädchen mußte in die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt. Nun hatte der Staat für sie aufzukommen, »obwohl wir sie jahrelang durchgefüttert haben und das selbstverständlich weiter tun würden«. Selbst Frau Singhs Antrag, sie als Haushaltshilfe bei sich zu beschäftigen und damit den Staat zu entlasten, scheiterte an der Sturheit der Ausländerbehörde. Die widersinnige Begründung des Amtes: »Bei dem starken Zustrom von Asylbewerbern in das Land Berlin ist ein großer Anteil von Personen in andere Bundesländer weiterzuleiten, weil sonst der auf Berlin entfallende Anteil von aufzunehmenden Asylbewerbern bei weitem überschritten werden würde und damit eine unverhältnismäßig hohe Belastung des Landes Berlin verbunden wäre.« — »So etwas«, findet Gisela Singh, »müßten die jungen Leute mal wissen — vor allem im Osten. Die denken, Ausländer machen nur Dreck und nehmen ihnen die Arbeitsplätze weg.« Mit Wehmut denkt sie an den Tag zurück, als die Mauer fiel und ihre schwarzhaarigen Kinder 200 Mark aus ihren Sparschweinen holten, um den Kindern aus Ost-Berlin Bananen und Schokolade überreichen zu können. »Und jetzt wagen sie sich nicht mehr in den Osten.« Ute Scheub

Das Bürgertelefon beim Deutschen Roten Kreuz hat inzwischen eine andere Telefonnummer: 396001-25.

*Name von der Redaktion geändert