piwik no script img

Theatertränen

■ Fassbinders »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« in der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters

Sechs Frauen. Eine, Petra von Kant, ist das Zentrum, um das die anderen rotieren: Marlene, die Mitarbeiterin und Dienerin, die ihrer Herrin die Füße küßt, Sidonie, die falsche Freundin, die immer nur auftaucht, wenn es eine neue Niederlage zu verzeichnen gibt. Valerie, die Mutter, die nichts von ihrer Tochter weiß, und Gabriele, die eigene Tochter, von der Petra wiederum schon seit Jahren nur noch die Schulergebnisse wahrnimmt. Und natürlich Karin; Karin, die große Liebe, die alles das kompensieren soll, was in Petras Leben bis dahin danebengegangen ist. Mit ihr wird Petra endlich alle kaputtgegangenen Lieben und die Enttäuschungen verwinden, mit ihr wird endlich die Einsamkeit aufhören, mit ihr wird sie endlich glücklich sein.

Aber Karin hat eigene Pläne. Karin will sich nicht festnageln lassen. Sie ist jung, sie will leben und nutzt die Vorteile, die ihr eine Verbindung mit Petra bringen. Wenn aber etwas anderes ihr verlockender erscheint, verschwindet sie; einfach und unkompliziert, ganz so wie sie kam. Petra bleibt allein zurück; einsamer, verzweifelter, zerstörter, als sie je zuvor gewesen ist.

Fassbinders 1971 geschriebenes Stück ist in einer Schicht angesiedelt, in der für den Wohlstand hart gearbeitet wird, wo die Kunst unabdingbarer Lebensbestandteil ist und unkonventionelle Lebensweisen propagiert werden. Petra von Kant, die angesehene Modedesignerin, hat Erfolg, dementsprechende Beziehungen und ausreichend Geld. Die Ausstattung im Maxim Gorki Theater (Henning Schaller) trägt dem Rechnung und hat die Bühne in eine durchgestylte Wohnung verwandelt. Kühle Farben und weißblaues Licht strahlen Kälte aus. Alles soll mondän aussehen, wirkt aber eher so, wie man sich im Osten eine Designerwohnung vorstellt. Dem riesigen Bett im Zentrum ist anzusehen, daß es nicht aus dem »Rahaus« stammt, sondern aus der Theaterschlosserei; die verwendeten Materialien sind eine Spur zu billig, die Seidendecke, die das Bettzeug verschwinden lassen soll, ist zwanzig Zentimeter zu kurz.

Die Schauspielerinnen bewegen sich in diesem Raum wie Fremde, die hier nicht leben, sondern zu Gast sind und ihre Unsicherheit kaschieren müssen. Swetlana Schönfeld in der Titelrolle ist immer eine Spur zu exaltiert, ein wenig zu elegant; zu auffällig stellt sie, besonders wenn sie allein ist, die verwöhnte Lady aus. Damit macht sie die Figur klein. Von Sinnlichkeit, Verrücktheit, Bitterkeit ist wenig zu spüren.

Aber es liegt wohl weniger an der Schauspielerin als an der Konzeption des Regisseurs (Martin Meltke), denn auch Nicole Haase als Sidonie und Katka Kurze als Gabriele haben mit diesem Problem zu kämpfen. Die Verlogenheit der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander werden vorgeführt; Zwischentöne sind nicht inszeniert — die Tragik der Petra von Kant geht dabei verloren. Auch Claudia Geisler, die jugendliche Liebhaberin Karin, ist nichts weiter als das raffinierte Dummerchen aus der Gosse. Vom ersten Moment an ist klar, daß sie Petra nur benutzen wird. Sie ist nur berechnend, und es bleibt rätselhaft, wie sich Petra in dieses Mädchen, das noch nicht einmal Charme vortäuscht, verlieben konnte.

Monika Lennartz als Mutter ist die wirkliche Dame in diesem Kreis. Wenn sie den Raum betritt, nimmt eine Frau die Situation in die Hand, die sicher auftritt und trotz Haute Couture — oder gerade deswegen — natürlich wirkt. Um so erschreckender ist dann der Bruch, wenn sie angesichts der ungeahnten Katastrophe aschgrau und hilflos auf dem Sofa zusammensinkt. Ihr und Ruth Reinecke, die als Marlene meist stumm im Bühnenhintergrund sitzt und doch stets präsent bleibt, ist es zu danken, daß trotz erheblicher Längen und stellenweise unerträglichem Kitsch einzelne Momente der Inszenierung in Erinnerung bleiben. Sparsam eingesetzte Mittel, beiläufige Seitenblicke oder ein monotones Wippen auf dem Stuhl erzählen eben viel mehr von der Traurigkeit der Fassbinderschen Figuren als die vielen ausgestellten Gesten aus der Theaterwerkstatt. Sibylle Burkert

Nächste Vorstellung am 23. September um 20 Uhr in der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen