Die Kunst der Hiebe

Boxen mit Henry Maske als Kunst bei der documenta in Kassel/ Axel Schulz wurde vor eher sportlich als künstlerisch angehauchtem Publikum neuer Deutscher Meister im Schwergewicht  ■ Aus Kassel Kai Rehländer

Als der kleine Mann mit dem flämischen Akzent ein Kind war, hat sein Vater immer mit ihm geboxt. Faustkampf war der Familiensport im heimischen Gent. Und später, als er ein wenig älter war, hat er auch im Ring einige Kämpfe bestritten. Nun ist er erwachsen geworden. Die Handschuhe hat er längst an den Nagel gehängt und sich anderen Dingen, nämlich der Kunst, gewidmet. Darin wurde Jan Hoet so berühmt, daß er künstlerischer Direktor der Kasseler documenta wurde.

Doch die Sache mit den Boxhandschuhen ließ ihn irgendwie nicht mehr los. Jetzt, wo er bei der großen Kunstausstellung das Sagen hat, ist die Gelegenheit da, sich seinen Vorlieben zu widmen. Und schließlich gibt es auch ein Rahmenprogramm zu füllen. So wurde neben Jazzmusik auch Sport (Baseball und Boxen) zum Kunstobjekt. „In gewissem Sinn ist es beim Boxen wie bei der Kunst: Man muß haarscharf Echtheit von Pose unterscheiden können, spüren, wo die Authentizität aufhört und die Berechnung anfängt“, fabulierte Hoet als Begründung für den documenta-Kampftag am vergangenen Sonnabend in Kassel.

Boxen und Kunst, ein Thema, zu dem sich überraschend auch Rene Weller, Boxtrainer und ehedem Europameister, Gedanken gemacht hat: „Kunst definiere ich als Dinge zu verändern, und solche Veränderungen kommen auch beim Boxen vor. Nehmen wir etwa Henry Maske. Außerhalb des Ringes kann er keiner Fliege etwas zuleide tun. Sobald er den Ring betritt, verändert er sich, seine gesamte Persönlichkeit. Dort wäre er in der Lage, einen Menschen umzubringen. Sein Gesicht und das Gesicht seines Gegners verändern sich auch. Und dann nach dem Schlußgong, wenn die Gegner sich in den Armen liegen, das ist die nächste Veränderung.“ Mit weniger philosophischem Tiefgang als Weller, der ganz am Rande gestand, auch selbst zu malen, äußerte sich Eckehard Dagge, Ex-Weltmeister, zu dem Thema: „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Kunst und Boxen hat für mich nichts miteinander zu tun.“

So schien es auch ein Großteil des Publikums zu sehen. Wenig documenta-Klientel befand sich in der Sporthalle. Dafür um so mehr Kasseler Sportfans. Denn: Einen Profiboxkampf oder gar einen Kampf um eine deutsche Meisterschaft gibt es selten in der nordhessischen Stadt zu sehen. Trotzdem war die Halle nur etwa zu zwei Dritteln gefüllt. Den ersten Kampf bestritt der Berliner Mario Schießer im Schwergewicht gegen den Ungarn Laszlo Paszierno im Stile einer durchschnittlichen Oktoberfestprügelei, die schließlich Schießer gewann. Besser wurde das Niveau bei der Mittelgewichtspartie zwischen Horace Fleary (England) und dem Berliner Andy Marks. Einer Partie, in der die Treffer des Deutschen an einer Hand abzuzählen waren.

Doch diese Kämpfe waren nur Beigabe. Die meisten kamen, um ihn boxen zu sehen: Henry Maske, Weltmeisterschaftsaspirant im Leichtschwergewicht, der in Kassel einen weiteren Aufbaukampf bestritt. Samson Cohen (USA) war der Gegner von „Sir Henry“, wie der ehedem erfolgreichste deutsche Amateurboxer in der Boxbranche genannt wird. Und wie nicht anders bei solchen Aufbaukämpfen zu erwarten, gewann der Deutsche durch Abbruch in der 5. Runde.

Hernach beim Titelkampf um die deutsche Schwergewichtsmeisterschaft wurde es dramatisch. Bernd Friedrich aus Neuwied, 104 Kilo schwerer ehemaliger Junioren- Weltrekordler in der Hantelkniebeuge kämpfte gegen Axel Schulz aus Frankfurt an der Oder. Unzählige Treffer landeten am glattrasierten Kopf des von Rene Weller betreuten Süddeutschen. Die Augenbraue platze auf. Die weiße Hose von Axel Schulz verfärbte sich durch das Gemisch von gegnerischen Blut und Schweiß zu einem blassen Rosa. Doch Friedrich hielt durch. Er ging über die Runden, und Schulz wurde vom Kampfgericht zum Sieger erklärt. Ein Sieger, der bei der anschließenen candle light party noch brav durch die Art-Szene gereicht wurde. Wo wir wieder bei der Verbindung Kunst und Boxen wären. Henry Maske übrigens sah die Verbindung von beiden am pragmatischsten: „Mich würde es freuen, wenn diese Veranstaltung dazu beitragen würde, dem Boxen ein anderes Image in der Öffentlichkeit zu geben. Daß sich die Medien endlich mit dem Boxen als Sport auseinandersetzten, schließlich wird beim Fußball auch nicht nur über die Hooligans berichtet.“