Präzise Langsamkeit

■ Jan Fabres Oper „Silent screams — difficult dreams“

In der Oper kommt die dramatische Handlung langsamer vom Fleck, träger als im Schauspiel, sie ist gerafft auf ein Minimum an Verwicklung und Nebenhandlung. Dazu bedarf Jan Fabre nicht erst der Oper. Seine präzise Langsamkeit, die komponierte Musikalität seiner Inszenierungen sind identisch mit Fabres gesamtem Werk.

Seine zweite Oper bedarf dieser Operngesetze allein, um sie zu übertreten. Aus dem Orchestergraben ragt der Rumpf des Dirigenten, der wedelnd Präzision zur Sängerbühne hinaufsignalisiert. Sinnlos, Fabres Sänger singen mit verbundenen Augen. Blind ist auch jede Handbewegung des Chores synchron. Fabres Regie pflanzt der Bühne singende Uhrwerke auf.

Nur nebenbei, im zweiten Teil seiner Operntrilogie „The minds of Helena Troubleyn“, uraufgeführt zum Finale der documenta in Kassel, spielt der flämische Tausendkünstler Fabre den Opernregisseur. Ebenso verfaßte er das Libretto, stattete die Bühne aus. Noch als Choreograph zieht Jan Fabre alle Fäden mit einer Hand. Allein, beim Lichtdesign ging er in die Knie. Das Grau-in-grau unter der Sparsamkeit seiner Beleuchtung läßt vermuten: Fabre will seine zur Hälfte erst vollendete Operntrilogie schon jetzt ausblenden.

Der Mittelteil der Trilogie, „Silent screams, difficult dreams“, vermag Werk und Meister nicht mehr zu trennen. Im Halbdunkel der Oper erkennt man immer nur Fabre. Das fürchtete der Meister vorab und schickte den polnischen Komponisten Eugeniusz Knapik vor. Knapik kommt eine nur bescheidene Rolle zu: Er verfaßte gerade mal die Partitur (Robert Schumann darin als Spickzettel parat). Knapiks Musik steht ganz im Widerspruch zu Fabres Ästhetik: Knapik, der „Post-Avantgardist“, kehrt den Sound vergangener Jahrhunderte heraus. Jeder Ton folgt allbekannten Motiven. Ohne Überraschungen, ohne dramatische Wendung. Mit übergroßer Vorsicht, mit restaurativem Rückzug stellt er eine dekorierte Klangtapete vor; eine mit Blümchenmotiv...

Insistent und prägend ist allein Fabres wiederkehrende Motivik: die kugelschreiberblaue Bemalung der Kostüme und Bühnenwände, die Ritterrüstungen, die aus den seinem Opernwerk abgekoppelten „Dance Sections“ stammen. Lachend zerschmettert der Chor stapelweise Porzellanteller, ein Motiv aus Fabres Frühwerk „Die Macht der theatralischen Gewohnheiten“. Fabre erinnert an Fabre. Knapik aber intoniert anheischige Memento-Musik.

Die Sängerinnen singen: „Die Vergangenheit, drückend und öde, ist unvorstellbar leicht entbehrlich.“ Die Vergangenheit, ja, Fabre ist ganz im Gestern gefangen, in einer Werkverpflichtung, die 1989 mit dem ersten Opernteil seiner Trilogie— „Das Glas im Kopf wird vom Glas“ — begann. Von ihr wird er verfolgt. Längst steht Fabres Inszenierungskunst woanders: In „Sweet Temptations“ versuchte er einen wiederholten Ausbruch aus der Blaumalerei, die ihn zu früh festlegte. Durch „Solabande“ brillierte er, in denen nicht ein Pünktchen Blau mehr sein durfte. Nur ein unumstößliches Operngesetz läßt Fabres junges Alterswerk nicht in Rente gehen: Der Opernbetrieb plant weit vorausschauend. Den dritten Teil der Trilogie verspricht Produzent Marc Adam, Intendant des ThéÛtre des Arts in Rouen, für 1995. In zwei Jahren also sehen wir wieder blaue Tapeten, alldieweil die Kunst des Jan Fabre wohl gar beim Experimentalfilm angekommen ist.

Der Opernregiebeleuchter und Bühnenbildchoreograph Fabre überraschte nämlich heuer als Filmemacher mit einem Leinwandfilm. Seine Muse und erste Schauspielerin Els Deceukelier spiegelt sich im „Close- up“, in Nahaufnahme stößt sie bizarre Schreie aus. Ein Kopf wirbelt wieder und wieder erschrocken herum. Verzweifelte Wut durchstößt die Bande hervorragender Genauigkeit. Nur so haucht Fabre im Wiederholungszwang für Sekunden seinen ewigen Verdoppelungen, Spiegelungen und Antagonismen neues Leben ein.

Fabres Wiederholungszwang basiert auf einem Spiegelspiel. Im Bühnenhimmel baumeln — symbolisch bedrohend — Scheren, scharfe Instrumente der Gespaltenheit. Darunter singt Torgun Birkeland, den Teller in der Hand wie einen Spiegel vor sich haltend. Leiser Humor wackelt auf den Porzellanteller-Stapeln, die Torgun Birkeland und Els Deceukelier immer höher bauen, draufsteigen, das Gleichgewicht suchen, um mit ihren Scheren synchron Friseurinnen beim Haarschneiden zu pantomimen. Die Teller gehen zu Bruch, die präzise Synchronität der Bewegungen geht unter in splitternder Kakophonie. „Das Endlose des Endlosen des Gleichen“ wispert dazu der Chor.

Die Gespaltenheit, die die Scheren symbolisieren, das Einander- Spiegeln der Akteure, ahnt den dampfenden Scherbenhaufen der Teller schon voraus. Die Hermetik der Bilder, die ganz ins Symbolhafte verlegte „Handlung“, zerstört Fabre mit wütender Entschlossenheit. Der stumme Schrei der Deceukelier, auf der Bühne, dann im Film, zeigt Fabres Wut ein winzige Sekunde lang. Seine Kunst, Wut in Präzision zu zwingen, um sie hernach um so entschlossener ausbrechen zu lassen, hatte zu kurzen Anlauf, diesmal, war nicht entschlossen genug. Denn Fabre muß Kräfte sparen — um 1995 das gleiche noch einmal, in einen dritten Teil, zu zwingen. Arnd Wesemann