Im Schatten des Maastricht-Referendums

Auf der IWF-Jahrestagung rücken die G-7-Staaten wegen der Währungsturbulenzen zusammen — doch Differenzen über die deutsche Hochzinspolitik bleiben  ■ Von Andrea Böhm

Washington (taz) — Es gab weder blaue Flecken noch düstere Mienen zu sehen. Und glaubt man Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), dann war das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der sieben reichsten Industrienationen (G-7) am Samstag eine ausgemacht harmonische Runde. Einen Tag vor dem französischen Referendum über die Maastrichter Verträge beschränkten sich Vertreter der USA, Deutschlands, Japans, Frankreichs, Italiens, Großbritanniens und Kanadas in Washington auf ein kurzes, nichtssagendes Kommuniqué, in dem man lediglich die Besorgnis über die jüngste „Unbeständigkeit“ auf den internationalen Finanzmärkten ausdrückte. Man werde weiterhin die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Bedingungen in den einzelnen Ländern beobachten und gegebenenfalls „angemessene zusätzliche Mittel“ ergreifen, um Wachstum und größere Währungsstabilität zu sichern. Über die Art der Mittel schwieg man sich nach dem Treffen jedoch aus.

Sowohl Bundesbankpräsident Schlesinger als auch Finanzminister Waigel machten aber deutlich, daß es weitere Zinssenkungen der Bundesbank nicht geben soll. Genau das hatten Großbritannien und die USA vor dem Treffen lautstark gefordert. Der britische Finanzminister Norman Lamont hatte am Freitag gefordert, Deutschland solle zuerst seine Hochzinspolitik ändern, bevor sich sein Land wieder in den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) einklinke. Ohne niedrigere deutsche Zinsen, so glauben viele Währungsexperten, werde es keine Ruhe im EWS geben.

In den USA sind Auswirkungen der europäischen Währungskrise bislang zwar kaum zu spüren. Doch in der Bush-Administration will man die Chance wahrnehmen, inmitten des europäischen Chaos US- amerikanische Führungsstärke zu beweisen. US-Finanzminister Nicholas Brady, der während des G- 7-Treffens den Vorsitz führte, hatte erklärt, niedrigere Zinsraten seien für das Wirtschaftswachstum in Europa unvermeidlich — ein deutlicher Wink an die deutschen Notenbanker, der Zinssenkung vom 13. September eine drastischere folgen zu lassen.

Schon am Samstag morgen hatten sich Waigel und Schlesinger bei einer Pressekonferenz kompromißlos, ohne den Hauch eines schlechten Gewissens, und, was das französische Referendum angeht, ziemlich gelassen präsentiert. Einseitige Schuldzuweisungen für die jüngste Währungskrise seien „nicht konstruktiv“. Auf die Frage, welche Folgen eine Ablehnung der Maastrichter Verträge für die Devisenmärkte haben könnte, antwortete Schlesinger lakonisch: Ein Zusammenbruch sei nicht zu erwarten. Man werde nicht in das „europapolitische Nichts fallen“, ergänzte Waigel. Die schmerzliche Lösung schrieb Schlesinger den EG-Partnern und der Bundesregierung gleich mit ins Stammbuch: Entweder kehre die Haushalts- und Preisdisziplin zurück oder man besinne sich auf die EWS-Regeln und empfinde es nicht länger als nationale Schande, die Wechselkurse anzupassen — zur europäischen Währungsunion führe aber nur der erste Weg. Unterdessen wurde in der US-Presse bereits darüber spekuliert, ob Deutschland und Frankreich im Falle einer Ablehnung der Maastricht-Verträge zunächst auf eine kleinere Währungsunion abzielen — unter Ausschluß Italiens, Großbritanniens, Spaniens, Portugals und Griechenlands.

Das Treffen der G-7-Finanzminister und der Notenbankchefs fand wie jedes Jahr im Rahmen der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds statt. Eigentlich sollte bei dem IWF- Treffen der demnächst 178 Mitgliedsländer die Wirtschaftshilfe für die ehemaligen Ostblockstaaten, vor allem aber Rußland, im Vordergrund stehen. Doch es wurde ebenso wie die noch immer nicht abgeschlossenen GATT-Verhandlungen von der europäischen Währungskrise überschattet. Die Veranstaltung droht nun zu einer Krisensitzung zu werden — falls das französische Referendum über die Verträge von Maastricht scheitert. Von der Situation der sogenannten Dritte-Welt-Länder redet zur Zeit ohnehin kaum einer.

Selbst die Bereitschaft der sieben reichsten Industrienationen, Rußland auf dem mühsamen Weg zur Marktwirtschaft mit weiteren Finanzpaketen unter die Arme zu greifen, ist derzeit gering. Im Rahmen des bereits beschlossenen Hilfspakets im Umfang von 24 Milliarden US-Dollar erhält Moskau für 1992 IWF-Kredite in Höhe von einer Milliarde. Im IWF selbst drängt man zwar darauf, möglichst schnell Verhandlungen über Finanzhilfen für das kommende Jahr aufzunehmen. Mindestens 18 Milliarden Dollar brauche Rußland nächstes Jahr, erklärte ein IWF-Beamter kurz vor Beginn des Jahrestreffens in Washington. Doch für irgendwelche Neuverhandlungen will Bundesfinanzminister Waigel erst einmal eine Einschätzung der russischen Zahlungsbilanz durch den IWF haben.

USA will IWF-Gelder nicht locker machen

Zudem ist die Refinanzierung der Kredite weiter offen. Noch immer blockieren die USA, größter Beitragszahler des Fonds, die bereits vor zwei Jahren beschlossene neunte IWF-Qotenerhöhung. In Gestalt ihres Präsidenten George Bush versprachen die USA zwar weitere 12 Milliarden Dollar, doch der US-Kongreß hat die IWF-Mittel bis heute nicht bewilligt. Im Gegenteil: Am Donnerstag, drei Tage vor dem offiziellen Beginn der IWF/Weltbank-Tagung, verabschiedete der Unterausschuß für ausländische Angelegenheiten des US-Senats eine Gesetzesvorlage für Auslandshilfe, in der die 12 Milliarden Dollar fehlen. Der übergeordnete Ausschuß könnte diesen Beschluß zwar rückgängig machen, doch dessen Vorsitzender, Senator Robert Byrd, hat bereits erklärt, daß er dies verhindern wolle. Mehrere demokratische Senatoren haben in den letzten Jahren wiederholt Kritik an der IWF-Politik in den Ländern der Dritten Welt, sowie den ökologischen Folgen von IWF-Wirtschaftsprogrammen geübt und sich gegen eine Aufstockung der US-Beiträge ausgesprochen. Dem Kongreß wird die Zustimmung vor den Präsidentschaftswahlen ohnhin nicht mehr abzuringen sein.