Bremer SPD gegen Vorstandsbeschluß

In der Asyldebatte hat der kleinste SPD-Landesverband deutlich Position gegen den Bundesvorstand bezogen/ Vizechef Oskar Lafontaine beharrt weiter auf Abkehr vom Individualanspruch für Asyl  ■ Aus Bremen Markus Daschner

Der Asyl-Artikel 16 des Grundgesetzes der Bundesrepublik darf nicht verändert werden. Das hat die Bremer SPD mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Auf einem Sonderparteitag am Samstag in Bremerhaven verabschiedeten die Genossinnen und Genossen bei nur neun Gegenstimmen und zwei Enthaltungen einen Leitantrag des Bremer Parteivorstandes, in dem es heißt: „An den Flüchtlingszahlen würde eine Änderung des Artikels 16 GG nichts ändern. Deshalb lehenen wir eine Änderung des Art. 16 GG ab.“

Zusätzlich fordern die Bremer Sozialdemokraten aber ein Zuwanderungsgesetz mit dem Ziel, die Zahl der Zuwanderer „quantitativ zu begrenzen und gegenüber dem aktuellen Volumen zu verringern“. Bürgerkriegs- und Kriegsflüchtlinge sollen dagegen weiter „vorübergehend Zuflucht“ in der Bundesrepublik finden. Deutliche Worte richteten die Bremer gegen Asylmißbrauch: „Rechtskräftig überführte drogendealende Asylbewerber müssen im Zuge eines beschleunigten, vorgezogenen Asylverfahrens so schnell wie möglich abgeschoben werden.“ Die erwartete Personaldebatte um Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier (SPD) fiel aus. Wedemeier vertritt seit dem Frühsommer öffentlich die These, daß „Artikel 16 in seiner jetzigen Form nicht zu halten“ ist. Mit dieser Position hatte er sich innerhalb der Bremer SPD isoliert. Gleich bei der Eröffnung des Parteitages nahm der Landesvorsitzende Horst Isola die Luft aus den Flügeln der Bürgermeister-Stürzer. „Es muß möglich sein, innerhalb unserer Partei anderer Meinung zu sein, auch wenn man Bürgermeister ist.“ Wedemeier selbst wiederholte seine Position. „Das Festhalten am Artikel 16 führt dazu, daß die Flüchtlinge selbst zu Verfolgten werden.“ Im Zuge eines europäischen Asylrechtes sei der Artikel ohnehin nicht zu retten: „Das ist meine Meinung, und darüber rede ich“, betonte Wedemeier.

Dagegen trat eine breite Front der Gegenredner an, angeführt von Hans Koschnick, Bremens Altbürgermeister. Er spannte den Debattenbogen von der Sozialistischen Internationale bis zu den kleinen Bremer Kommunalparlamenten, den Beiräten, die sich derzeit mit der Unterbringung von Asylbewerbern im Stadtgebiet schwertun. „Ich halte unser Grundgesetz nicht für ein Jahrtausend-Werk“, erklärte Koschnick, „aber nur mit Stimmungsmache ist eine Änderung mit mir nicht drin.“

Knapp 30 Wortbeiträge registrierte das Parteitagspräsidium, fast alle sprachen sich gegen den Beschluß des Bundesvorstandes aus. Die Sozialsenatorin Irmgard Gaertner erklärte sogar: „Wer das individuelle Recht auf Asyl in Frage stellt, der stellt auch seine Mitgliedschaft in der SPD in Frage“ — worauf der Bildungssenator und SPD-Bundesvorständler Henning Scherf zum Zwischenruf ansetzte: „Parteiausschlußverfahren für Oskar.“

Zufrieden gingen die GenossInnen nach sechsstündiger Debatte auseinander. Ob der Beschluß bis zum Bundesparteitag im November hält, schien selbst unter ihnen umstritten. „Die Debatte um das Thema Asyl wird bis zum Bundesparteitag noch so heiß, daß weitere Anträge bis dahin nötig werden. Das, was wir heute hier beschließen, ist doch übermorgen schon wieder Makulatur“, befürchtete einer.

Glotz: Fehler der SPD in der Asylpolitik

Berlin (dpa/AP) — Der hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) hat sich entschieden gegen die Position des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine gewandt, künftig nicht mehr jedem Flüchtling das einklagbare Recht auf Asyl einzuräumen. Er lehnte dies „ganz dezidiert“ ab. In einem Interview sagte er, daß für Wirtschaftsflüchtlinge ein Einwanderungsrecht und für Bürgerkriegsflüchtlinge ein zeitlich begrenzter Aufenthaltsstatus geschaffen werden müsse, damit diese erst gar nicht in das Asylverfahren genommen würden.

Lafontaine bekräftigte indessen seine Haltung, daß Menschen, die offensichtlich nicht politisch verfolgt werden, kein Individualrecht auf Asyl beanspruchen können. Dies sei auch der Kern des SPD-Vorstandsbeschlusses vom vergangenen Wochenende. Niemand in der SPD wolle aber das Recht abschaffen, daß tatsächlich politisch Verfolgte in Deutschland Schutz finden. Es gehe aber darum, mit einem verläßlichen Verfahren zu verhindern, daß sich allein in diesem Jahr über 400.000 Flüchtlinge auf das Asylrecht berufen, obwohl nur eine geringe Zahl wirklich politisch verfolgt werde.

SPD-Parteichef Engholm hat ein Ersetzen der Asyl-Garantie durch einen Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention abgelehnt. Der Individualanspruch auf Asyl dürfe nicht durch eine „institutionelle Garantie“ ersetzt werden. Vor Beginn des Asylverfahrens sollte aber eine „Weichenstellung“ stattfinden, mit der politisch Verfolgte von Flüchtlingen aus wirtschaftlichen Gründen getrennt werden könnten.

SPD-Vorstandsmitglied Peter Glotz hat die Asyl-Beschlüsse des Parteipräsidiums als richtigen Schritt bewertet. Er räumte aber deutliche Fehler bei der bisherigen Parteilinie ein. Beispielsweise seien die Zahlen der erwarteten Asylbewerber noch vor einem Jahr von SPD-Experten „bewußt runtergerechnet worden“. Die SPD habe sich damit „selbst eine Falle gestellt“.