Schmuse-Dialog statt Streitgespräche

■ Das Publikumsinteresse am Umwelttag ist weitaus geringer als erwartet, aber organisatorische Pannen allein erklären nach Ansicht von Kritikern das Wegbleiben so vieler Ökobewegter nicht

In der Nacht hat es geregnet, Renate Diercks wischt mit einem Lappen die letzten Wassertropfen von der Wachstuchdecke und rückt die Stühle um den Tisch zurecht. „Jetzt kann es eigentlich losgehen“, sagt sie, „aber ich sehe da ziemlich schwarz.“ Der Alternativbetrieb „Bioase“, der von Düsseldorf zum Deutschen Umwelttag (DUT) nach Frankfurt gereist ist und gegenüber der Universität „biologisch-vegetarische Vollwertkost“ anbietet, verkauft viel weniger Mahlzeiten als erhofft. Auch die frisch gepreßten Säfte aus ökologisch angebautem Obst sind nicht sehr gefragt. Renate Diercks befürchtet, daß das bis zum Ende der Veranstaltung am Dienstag nicht viel besser wird. „Es kommen einfach kaum Leute vorbei, das ist wirklich ein ziemlicher Flop.“

Wie Diercks geht es vielen der rund 300 Initiativen, Betriebe und Firmen, die an diesem Wochenende in die Mainmetropole gekommen sind, um sich und ihre Produkte zu präsentieren. Das Publikumsinteresse ist weitaus geringer als erwartet. Am schlechten Wetter liegt das nur zum Teil, denn auch in die überdachten Messehallen, wo die Ausstellung „Ökopolis — Stadt der Zukunft“ die Massen anlocken sollte, kommen nur wenige. Und in einen der größten Hörsäle der Uni, wo der sowjetische Atomphysiker Wladimir Tschernosenko mit einem Referat über die Folgen des Reaktorunglücks von Tschernobyl angekündigt ist, verirren sich gerade mal 25 Interessenten.

Daß die Veranstalter, die 13 Trägergruppen und -verbände des Vereins „Deutscher Umwelttag“, mit ihren vorab verbreiteten Zahlenangaben von 100.000 Besuchern zu hoch gegriffen haben, war schon bei der Eröffnungsfeier am Freitag offensichtlich. Statt der kalkulierten 10.000 Zuhörer kamen nur rund 500 auf den Römerberg, um den Worten des Bundespräsidenten und des peruanischen Indianerführers Evaristo Nugkuag zu lauschen. In der Pressestelle des Umwelttages wird die Fehlkalkulation bestätigt, wenn auch darauf verwiesen wird, daß vor einem endgültigen Urteil die offiziellen Zahlen der Geschäftsführung abgewartet werden müßten. „Woran es liegt, wissen wir auch nicht.“

Ausländische Journalisten bieten eine Erklärung an. „Die Organisation hier ist sehr schlecht“, beschwert sich ein niederländischer Rundfunkreporter. Erst am Freitag habe er das Programm bekommen, einen Tag später sei es schon wieder „vollkommen veraltet“ gewesen. Tatsächlich war schon bis zum Samstag mehr als ein Drittel der 220 vorgesehenen Veranstaltungen wieder gestrichen worden. Andere Vorträge wurden zeitlich und räumlich verlegt oder mit anderen als den angekündigten Referenten durchgeführt. Die Korrespondentin eines US-amerikanischen Senders kann nicht verstehen, „warum die ganze Sache nicht an einem einzigen Ort stattfindet“. Innerhalb eines Tages habe sie wegen vier oder fünf Terminen durch die halbe Stadt laufen müssen.

„Ohne die Industrie geht nun mal gar nichts“

Organisatorische Pannen monieren zwar auch etliche Bürgerinitiativen und Basisgruppen. Das allein, glaubt Rasmus Grobe von der „Schüler- Union Umwelt“, erkläre aber nicht das Wegbleiben so vieler Gruppen und Einzelpersonen aus der Ökologie-Bewegung, die beim ersten Umwelttag in Würzburg vor sechs Jahren noch das Gros der Teilnehmer gestellt hätten. „Der Deutsche Umwelttag ist einfach nicht mehr das Treffen der Umweltbewegung“, sagt er. Anstatt die notwendigen Diskussionen innerhalb der Bewegung zu ermöglichen, sei eine „Öffnung gegenüber Industrie und Wirtschaft“ erfolgt. „Auf die kleinen Initiativen, die sich beteiligen wollten, legten die Veranstalter weniger Wert als auf die Industrie“, beklagt sich auch die Redaktion der Zeitung verDUTzt, die täglich über die Aktivitäten der Umwelttag-Kritiker berichtet. So sei eine Diskussion zwischen der Frankfurter Flughafen AG und Flughafengegnern kurzerhand aus dem Programm gekippt worden. Generell sei der „vorgeblich geplante Streit mit der Industrie zu einem Schmuse-Dialog pervertiert“ worden.

Den Vorwurf der Industrielastigkeit des Umwelttages weist der Schatzmeister des Vereins Deutscher Umwelttag, Jochen Flasbarth, „entschieden“ zurück. Man könne nicht gleichzeitig die Wirtschaft zu einer solchen Veranstaltung einladen und sich dann über ihr Kommen ärgern. „Infantil“ nennt Flasbarth die bei der Eröffnungsveranstaltung auf Transparenten und Plakaten zum Ausdruck gebrachte Kritik an der Anwesenheit des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) oder des Verbandes der Chemischen Industrie auf dem Umwelttag. Ohne die Industrie, so Flasbarth, gehe „nun mal gar nichts beim Umweltschutz“. Dialog sei gefragt, nicht Konfrontation. Reimar Paul (epd), Frankfurt/ Main