„...davon geht die Welt nicht unter!“

■ Deutsche PolitikerInnen stellten sich gestern bereits auf ein mögliches „Non“ ein/ Ihre Vorschläge reichten von Nachverhandlungen bis hin zu einer europäischen Verfassunggebenden Versammlung

Berlin (taz/AFP/AP/dpa) — Eine Stimmung wie am Vorabend des Weltuntergangs lag gestern über den Hauptstädten EG-Europas. Während Frankreichs 38 Millionen Wahlberechtigte aufgefordert waren, ihre Zustimmung oder Ablehnung der Maastrichter Verträge an der Urne kundzutun, bekräftigten PolitikerInnen in allen anderen EG- Ländern noch einmal die Bedeutung der Verträge. Parallel zu den für einen Sonntag ungewöhnlich zahlreichen politischen Stellungnahmen massierten sich auch die Meinungsumfragen: Demoskopen aus Großbritannien teilten mit, eine Mehrheit der InselbürgerInnen würde sich — falls man sie fragte — gegen die Verträge aussprechen, nur 24 Prozent könnten sich ein „Ja“ abringen. Hochkonjunktur auch bei den deutschen MeinungsforscherInnen: Am Freitag stellten sie fest, daß sich hierzulande BefürworterInnen und GegnerInnen der Verträge die Waage halten. Wie viele Deutsche die Verträge überhaupt kennen, sagten sie nicht.

In Frankreich hatten sich beide Seiten in den spannungsgeladenen Wochen vor dem Referendum eine regelrechte Materialschlacht geliefert. Unter anderem erhielt jedeR WahlbürgerIn ein Exemplar der Verträge sowie Kommentare frei Haus. Letztere wurden von Maastricht-GegnerInnen als entschieden zu euphemistisch kritisiert. 5.900 Tonnen Papier wurden in den vergangenen Monaten in Frankreich mit Propaganda — pardon: Information — bedruckt. Unabhängig vom Ausgang des Referendums gehörte deshalb die französische Verlagsbranche schon gestern zu den eindeutigen GewinnerInnen. So verkaufte sich ein Schnellschuß der beiden konservativen Maastricht-GegnerInnen Garaud und Seguin — Titel De l'Europe et de la France (Von Europa und von Frankreich) — binnen weniger Tage 50.000mal.

Deutschland und die Deutschen hatten im Mittelpunkt der französischen Maastricht-Kampagne gestanden. BefürworterInnen der Verträge hatten argumentiert, das seit der Vereinigung erstarkte Nachbarland könne nur mittels einer Europäischen Union in Schach gehalten werden. Die GegnerInnen hingegen witterten die Gefahr, von der anderen Rheinseite politisch vereinnahmt oder gar unterdrückt zu werden. Kanzler Kohl hatte bei einem dreistündigen Fernsehauftritt seines sozialistischen Freundes Mitterrand versucht, den FranzösInnen die Angst zu nehmen. „Sie sind doch so eine große Nation“, sagte er dabei. Binnenmarktkommissar Bangemann, ebenfalls Deutscher und seit Jahren in Brüssel tätig, fand die Anti- Deutschen-Stimmung in Frankreich „ziemlich unzumutbar“.

Druck auf das französische Wahlvolk versuchten nicht nur deutsche PolitikerInnen auszuüben. In Brüssel drohte der — französische — Präsident der EG-Kommission, Delors, seinen Rücktritt für den Fall eines „Non“ an. Spaniens Regierungschef Gonzalez stieg in Frankreich für seine sozialistischen Parteifreunde in die Bütt. Und selbst aus Nicht-EG- Ländern wie Schweden und Österreich kam die Belehrung an die FranzösInnen, nur ein Kreuzchen bei dem „Oui“ sei richtig.

Gestern bauten deutsche PolitikerInnen bereits für alle Fälle vor. Bei einer Ablehnung der Verträge in Frankreich, so Außenminister Kinkel (FDP), ginge „die Welt nicht unter“. Man müsse dann eben auf dem aufbauen, was bislang in Europa erreicht worden sei. Bundestagspräsidentin Süssmuth (CDU) meinte, es gehe nach einem französischen „Nein“ nicht darum, die Wirtschafts- und Währungsunion zu verschieben. Sondern dann wäre „auszuhandeln, was geschehen muß, damit unsere Bürger in Europa von der Union überzeugt werden“. Die vereinbarten, abstrakten Prinzipien der politischen Union müßten dem Bürger verständlicher gemacht werden.

FDP-Politiker zogen gestern bereits einen möglichen Nachfolger für Delors aus der Tasche. Sollte der Kommissionspräsident zurücktreten, wäre Genscher der beste Mann für den Job, sagte FDPler Menzel.

In Bonn forderte Wieczorek-Zeul (SPD) eine neue öffentliche Diskussion darüber, wie die europäische Zusammenarbeit für die Zukunft unter Beteiligung der Bürger demokratisch und sozial gestaltet werden könne. Zugleich warnte sie vor einem Rückfall in „nationalistische Kleinstaaterei“ auch in Westeuropa. Eine Verfassunggebende Versammlung auf europäischer Ebene verlangten ihre GenossInnen bei den Jusos. Unter anderem wünschen sie sich, daß „die Kommission endlich durch das Parlament gewählt“ wird.

Ins nationalistische Horn stieß gestern Stoiber. Der bayerische Innenminister nutzte die Gelegenheit, um Deutsch als dritte Arbeitssprache der EG zu postulieren, wo er derzeit zuviel Französisch und Englisch hört.

Aus Dänemark, wo das Wahlvolk am 2. Juni vormachte, wie man auch mit den Maastricht-Verträgen umgehen kann, sandte der konservative Regierungschef gestern ein mahnendes Wort nach Frankreich: Ein französisches Nein, so Schlüter, sei gefährlicher als ein dänisches. dora