Auch 500 Gramm-Babys können durchkommen

■ Überlebenschancen von zu früh geborenen Säuglingen: Eines der Hauptthemen auf dem Kinderärzte-Kongreß in Hamburg

in Hamburg

„Ich würde ein zu früh geborenes Baby niemals in einen dieser Brutkästen legen“, diese provozierende Bekundung einer Gegnerin der technisierten Medizin entzündete eine heftige Diskussion in der Partyrunde. Die meisten der anwesenden Mütter und Väter konnten nicht glauben, daß jemand einen Säugling sterben läßt, wenn es eine Chance gibt, ihn zu retten.

Und auch Mediziner sehen das mittlerweile so: „Wir versuchen, jedes Frühgeborene zu retten“, sagt Dr. Frank Pohlandt. Der Oberarzt der Ulmer Universitätskinderklinik ist zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde nach Hamburg gekommen. Auf seinem Fachgebiet Neonatologie, der medizinischen Versorgung Neugeborener, hat es in den letzten Jahren atemberaubende Fortschritte gegeben, es ist daher ein Hauptthema auf dem bis Mittwoch dauernden Kongreß.

Es ginge nicht um Überleben um jeden Preis, so der Arzt, denn ei-

nige der Frühgeborenen kämen

1schwerst geschädigt auf die Welt. Aber: „Es gibt keine festgelegte Gewichtsgrenze, bei der wir es nicht mehr versuchen.“ So haben dank der medizinischen Entwicklung heute auch Winzlinge von nur 500 Gramm Gewicht eine Chance. Noch vor 20 Jahren wurden Säug-

1linge, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kamen, nur beatmet, wenn sie mindestens zwei Kilogramm wogen. Heute überleben 50 Prozent der Säuglinge, die in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen.

Weil ihre Lunge noch nicht richtig funktioniert, konnten bis vor wenigen Jahren viele Frühgeborene gar nicht beatmet werden. Mittlerweile gibt es ein Medikament, das die Lungenbläschen stabilisiert, so daß sie nicht zusammenfallen.

Einfach ist die medizinische Versorgung der Frühgeborenen dennoch nicht, berichtet Pohlandt. So bereitet es Schwierigkeiten, einem 500-Gramm-Winzling eine Infusion zu verabreichen. Zudem tragen viele der zu früh geborenen Babys gesundheitliche Schäden davon: Bei einigen kommt es zu spastischen Lähmungen, Blindheit oder Hörschäden. Bei vielen Kindern sind die Folgen der Frühgeburt erst später feststellbar. Sie leiden unter Aufmerksamkeits- und Leistungsstörungen, sind besonders schreckhaft. Diese Folgeschäden seien allerdings wissenschaftlich noch nicht genügend untersucht, so Pohlandt. Gar nicht erforscht sind die psychischen Folgen der Trennung von den Eltern, wenn ein Kind wochenlang im Brutkasten liegt.

In jedem Fall bräuchten Frühlinge in ihren ersten Lebensjahren besonders viel Zuwendung, Aufmerksamkeit und Förderung, so der Neonatologe, damit sie „aufholen“ können. Vera Stadie