Hilflos gegen Massenarbeitslosigkeit

■ Auf einem Experten-Hearing wurde gestern die Zukunft der AB-Maßnahmen diskutiert/ Viele Beschäftigungsgesellschaften stehen kurz vor dem Konkurs/ Arbeitsämter fast zahlungsunfähig

Berlin. Die Arbeitsbeschaffungspolitik und die Beschäftigungsprogramme der alten Bundesrepublik sind nicht mehr zeitgemäß. Gegen die strukturelle Arbeitslosigkeit, besonders in den neuen Bundesländern, können kurzfristige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wenig ausrichten. Das wurde gestern übereinstimmend auf einem Experten-Hearing zum Arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramm (ARP) von Vertretern aus ABM-Projekten und Politikern im Schöneberger Rathaus festgestellt.

Allein in Ost-Berlin gibt es 28.000 ABM-Arbeitsplätze; zahllose Beschäftigungsgesellschaften stehen kurz vor dem Konkurs, weil sie nicht in der Lage sind, die Löhne ohne den Anteil der Arbeitsämter länger als zwei Monate fortzuzahlen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden in den 60er Jahren gegen die konjunkturbedingte Arbeitslosigkeit eingerichtet. Durch AB-Maßnahmen sollten Arbeitslose die Chance bekommen, nach einer kurzfristigen Überbrückungsphase wieder einen festen Arbeitsplatz zu bekommen. Strukturpolitische Absichten waren mit den Arbeitsbeschaffungsprogrammen, die zu 70 Prozent von den Arbeitsämtern finanziert werden, nie verbunden. Derzeit stehen die Arbeitsämter kurz vor der Zahlungsunfähigkeit, weil die Haushaltsmittel der Bundesanstalt nicht ausreichen.

In Ost-Berlin werden nach Schätzungen nur fünf Prozent der ABM- Beschäftigten in ein normales Beschäftigungsverhältnis übernommen. Die Aufgabe, die AB-Maßnahmen ursprünglich hatten, nämlich den Arbeitslosen eine Brücke zum Arbeitsmarkt herzustellen, erfüllen sie nicht mehr. Der sogenannte »zweite Arbeitsmarkt« ist zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft geworden. Weil AB-Projekte »gemeinnützig« arbeiten müssen und nicht am regulären Wirtschaftsleben teilnehmen dürfen, sind sie nach der einjährigen Förderung durch das Arbeitsamt oft nicht überlebensfähig. Die kurzfristig geschaffenen Arbeitsplätze gehen verloren, sogenannte »Ausgründungen« aus ursprünglichen AB-Projekten sind die Ausnahme. Deshalb forderte die Arbeitsgemeinschaft »Arbeit und Ausbildung« auf dem Hearing, sogenannte »Soziale Betriebe« zu gründen. Das sollen Betriebe sein, die Benachteiligte beschäftigen, aber dennoch leistungsorientiert arbeiten. Matthias Ross, dessen AB-Projekt »Kirchbauhof« auch in der Arbeitsgemeinschaft organisiert ist, forderte die Förderung dieser »Sozialen Betriebe«, um endlich eine Schnittstelle zwischen Sozialverwaltung und Wirtschaftsförderung herzustellen. Nur so könnten AB-Projekte ihre sozialen Aufgaben erfüllen und ihre Wirtschaftsfähigkeit herstellen. »Wenn man die Drehtür-Effekte der bloß alimentierenden Sozialprojekte vermeiden will, müssen AB-Projekte Gewinne selbst verwerten dürfen, damit sie zu konkurrenzfähigen Unternehmen werden, die nur ihre Sozialaufgaben finanziert bekommen«. Dieses Konzept könne AB- Projekte unabhängiger von der Bundesanstalt für Arbeit machen.

Peter Haupt, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, unterstützte die Forderungen nach neuen Möglichkeiten für die AB-Projekte, eigene Einnahmen selbst zu verwenden. Das Zuwendungsverfahren für AB-Projekte müsse geändert werden, so Haupt, damit ein solches Unternehmen auch »betrieblich tätig werden kann«. Leider stehe die Landeshaushaltsordnung neuen Lösungen noch im Wege. Rüdiger Soldt

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