Typischer Kurzschluß

■ betr.: "Sie hecheln den Zeitfragen einfach Jahre hinterher", taz vom 12.9.92

betr.: „Sie hecheln den Zeitfragen einfach Jahre hinterher“,

Interview mit Udo Knapp,

taz vom 12.9.92

O Mann, Udo, endlich mal ein richtiger Mann, der sagt, was Sache ist, der Verantwortung tragen will, und nicht so ein Drückeberger! Super: an der Seite der USA zum Garanten für die „weltweite Durchsetzung von Menschenrechten, Demokratie und freiheitlichen Gesellschaften“. Endlich eine Politik, die sich nicht mehr auf die begrenzte deutsche Innenpolitik beschränkt, sondern als „Weltpolizei“ willst Du qua unseres(?) weltbürgerlichen Denkens“ (wie in Rostock?) eine „Weltinnenpolitik mit allen Konsequenzen“(!) durchsetzen (von dem Gruselkabinett träumten schon die Nazis). Für Dich scheint das doch mal was Weltbewegenderes zu sein als jener Provinzialismus gegen den Vietnamkrieg der USA anno dazumal im SDS-Vorstand.

Mit dem Export unserer phantastischen Innenpolitik als „Weltinnenpolitik“ können wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die lästigen Asylbewerber schicken wir zurück in ihre Länder und unsere Jungs gleich hinterher. Die stecken wir dann in etwas hübschere Uniformen, damit ihre tätowierten Hakenkreuze nicht sogleich ins Auge springen, und dort können sie dann „friedliebend“ für eine „freiheitliche Gesellschaft“ kämpfen, gegen diese Ausländer, denen es an „weltbürgerlichem Denken“ mangelt. Doch lieber in Bosnien als in Hoyerswerda, nicht wahr? Die amerikanischen Ledernacken werden vor Neid erblassen, und unsere Jungs kriegen statt Strafen Orden.

Macht riecht nach Blut, vergiß das nicht, Udo. Wo bleibst Du mit all Deinen „bellizistischen“ (vornehm postmodern-neudeutsch für kriegstreiberisch) Freunden, wenn Nacht für Nacht hier in unserem Land der Krieg tobt gegen die Ausländer? Ihr schickt wohl lieber andere Leute in den Krieg und hockt selber ganz „pazifistisch“ in Euren Sesseln: Duckmäusertum und Größenwahn sind immer noch hervorragende deutsche Eigenschaften. Bärbel Debes, Berlin

[...] Daß bei den Grünen die Debatte und eine erneute Willensbildung über Pazifismus und Weltinnenpoltik nach der atomaren Blockkonfrontation und angesichts sich ausweitender nationaler und ethnischer bewaffneter Konflikte wieder aufgenommen wird, daß darin auch die Möglichkeit, sich politisch und gegebenenfalls militärisch an international vereinbarten bewaffneten Nothilfeeinsätzen gegen Völkermord und faschistische Verbrechen zu beteiligen, ernsthaft diskutiert werden muß, das kann ich befürworten.

Zum jetzigen Zeitpunkt muß aber unterschieden werden zwischen

—dieser Debatte und Willensbildung über grüne Positionen der Weltinnenpolitik, welche Interventions- oder Handlungsmöglichkeiten gegen Völkermord auf der Basis wirksamen internationalen Rechts in einer zivilen Weltgesellschaft denkbar wären — und dies schließt neben der konsequenten Ausschöpfung ziviler Maßnahmen internationaler Einflußnahme auf menschenrechtsverletzende Aggressoren erhebliche und nur mittel- oder langfristig vorstellbare Reformen der UNO ein (Beiträge von F.O.Wolf und L.Volmer), und

—den Entwürfen oder Forderungen für ein militärisches Interventionsszenario, um jetzt oder schnellstmöglich dem Völkermord in Bosnien und demnächst in Kosovo wirksam entgegenzutreten (Beiträge von J.Maier, Herta Müller, Udo Knapp). Ein solches Szenario verbleibt notwendigerweise in der herrschenden weltweiten Militärlogik von Außenpolitik, was bei J.Maier sogar dazu führt, sich für „Waffenlieferungen an die bosnischen Moslems“ auszusprechen, um den (serbischen) Aggressor zu schwächen, einmal abgesehen von den unabsehbaren militärischen Risiken einer solchen Intervention.

Die Menschenrechtspolitik der UNO (oder gar der KSZE) ist aber bei weitem noch nicht so weit entwickelt, um im Namen eines international akzeptierten Gewaltmonopols für die Menschenrechte tätig werden zu können. Deshalb macht Realissimo Udo Knapp wieder einen seiner typischen Kurzschlüsse, wenn er eine grüne außenpolitische Position verlangt, die sich für eine militärische Intervention in Ex-Jugoslawien „durch die Golf-Allianz in den Nato- Strukturen“ ausspricht — so weit gehen nicht einmal die Petersberger Beschlüsse der SPD! — und dies zugleich in den Rahmen „weltweite(r) Durchsetzung von Menschenrechten, Demokratie und freiheitlichen Gesellschaften“ stellen will. Gerade angesichts der gegenteiligen Ergebnisse des Golfkrieges ist mir eine solche Bewertung unbegreiflich. [...] Imma Hillerich, Duisburg